Tbilisi

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Tiflis, die Hauptstadt Georgiens, liegt in der tiefen Schlucht des Mtkwari-Tals, umgeben von den trockenen Ausläufern des Trialeti-Gebirges. Sie ist geprägt von Mythos und Topografie. Sie erstreckt sich über 726 Quadratkilometer im Osten Georgiens und beherbergte im Jahr 2022 rund 1,5 Millionen Einwohner. Der Name selbst – abgeleitet vom georgischen Wort „tbili“, was „warm“ bedeutet – erinnert an die schwefelhaltigen Quellen, die König Wachtang Gorgassali im 5. Jahrhundert dazu veranlassten, hier eine Stadt zu gründen. Der Legende nach fiel sein Jagdfalke in eine Thermalquelle und tauchte entweder gekocht oder auf wundersame Weise geheilt wieder auf. So oder so markierte dieses Ereignis den Beginn eines der komplexesten urbanen Gefüges im Kaukasus.

Geografisch und symbolisch befindet sich Tiflis an einer Schwelle. Es liegt buchstäblich an einem Scheideweg: Europa im Westen, Asien im Osten, das Kaspische Meer in der Nähe und der Große Kaukasus im Norden. Die vielschichtige Geschichte der Stadt – geprägt von Zerstörung und Wiedergeburt, die nicht weniger als 29 Mal dem Erdboden gleichgemacht und wiederaufgebaut wurde – hat eine seltene, ungekünstelte Authentizität bewahrt. Die Altstadt mit ihren windschiefen Holzhäusern, die sich um Innenhöfe und Gassen drängen, die sich jeglicher kartesischer Logik widersetzen, ist weitgehend intakt.

Das Klima Tiflis spiegelt seine Hybridität wider. Abgeschirmt durch die umliegenden Gebirgsketten herrscht hier eine gemäßigte Variante des für Städte dieser Breitengrade typischen Kontinentalwetters. Die Winter sind zwar kalt, aber selten brutal; die Sommer heiß, aber nicht eisig. Die durchschnittliche Jahrestemperatur beträgt angenehme 12,7 °C. Der Januar, der kälteste Monat der Stadt, liegt nahe dem Gefrierpunkt, während der Juli durchschnittlich 24,4 °C erreicht. Die Rekordtemperaturen – -24 °C im Tiefst- und 40 °C im Höchstfall – zeugen von der meteorologischen Unberechenbarkeit der Stadt. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge beträgt knapp 600 mm pro Jahr, wobei Mai und Juni überproportional zu dieser Zahl beitragen. Nebel und Wolken sind im Frühling und Herbst häufig und legen sich wie ein Schal über die umliegenden Hügel.

Trotz des hohen Alters der Stadt hat sich die moderne Infrastruktur allmählich etabliert. Der Freiheitsplatz, einst Versammlungsort und heute symbolträchtiger Mittelpunkt, beherbergt Tiflis wichtigstes Tourismusbüro. Hier kann man sich orientieren und die Nuancen kennenlernen – ein bescheidener Ausgangspunkt für einen Ort, der sich langsam erschließt.

Der internationale Zugang zu Tiflis ist relativ unkompliziert. Der internationale Flughafen Schota Rustaweli ist zwar für europäische Verhältnisse klein, bietet aber regelmäßige Flüge an, die die georgische Hauptstadt mit Städten wie Wien, Tel Aviv, Baku und Paris verbinden. Inlandsflüge sind nach wie vor rar, und wer nach günstigeren Tarifen sucht, zieht oft einen Flug zum etwa 230 Kilometer westlich gelegenen Flughafen Kutaissi in Erwägung. Kutaisis günstige Verbindungen nach Mittel- und Osteuropa – Tickets sind bereits ab 20 Euro erhältlich – ziehen immer mehr Reisende an, die dann die vierstündige Reise nach Tiflis mit dem Marschrutka oder der Bahn antreten.

Die Fahrt vom Flughafen ins Stadtzentrum ist auf dem Papier trügerisch einfach. Der öffentliche Bus 337 verkehrt vom frühen Morgen bis kurz vor Mitternacht und passiert Avlabari, die Rustaveli Avenue und die Tamar-Brücke, bevor er am Hauptbahnhof endet. Mit einer Metromoney-Karte – die für fast alle öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt verwendet wird – zahlt man nur 1 Lari. Die theoretische Effizienz dieser Verbindung wird jedoch durch eine hartnäckige lokale Realität untergraben: Die Zuverlässigkeit des Nahverkehrs kann unregelmäßig sein, und ahnungslose Besucher werden am Flughafen oft von aggressiven Taxifahrern abgefangen. Einige dieser Fahrer, ohne Lizenz und äußerst opportunistisch, treiben die Fahrpreise um ein Vielfaches in die Höhe und bedrängen die Fahrgäste mit einstudierten Sprüchen und beunruhigender Hartnäckigkeit. Mitfahr-Apps wie Bolt und Yandex bieten eine transparentere Alternative mit Fahrpreisen im Bereich von 20 bis 30 Lari.

Der Bahnhof, lokal als Tbilisi Tsentrali bekannt, ist ein moderner, kommerziell-palastartiger Hybrid. Über einem Einkaufszentrum gelegen, ermöglicht der Bahnhof sowohl nationale als auch internationale Zugreisen. Züge nach Batumi an der Schwarzmeerküste fahren zweimal täglich und bieten eine Fahrzeit von etwa fünf Stunden. Es gibt auch einen vielbefahrenen Nachtzug nach Eriwan im benachbarten Armenien, der die Grenze in den späten Stunden überquert und im Morgengrauen seine Endstation erreicht. Diese Fahrten werden oft in ehemaligen sowjetischen Schlafwagen zurückgelegt – funktional, nostalgisch und gerade komfortabel genug. Züge nach Baku, Aserbaidschan, sind aufgrund regionaler Spannungen und der anhaltenden Nachwirkungen der Pandemie weiterhin eingestellt.

Im Fernverkehr dominieren Marschrutkas – Minibusse, die ihre Routen mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Flexibilität bedienen. In Tiflis gibt es drei große Busbahnhöfe: den Bahnhofsplatz für Verbindungen zu den großen georgischen Städten, Didube für Verbindungen in den Nordwesten, darunter internationale Busse in die Türkei und nach Russland, und Ortachala für Ziele im Süden und Osten, darunter Armenien und Aserbaidschan. Jeder Bahnhof ist ein Universum für sich, ein Ort, an dem Ortskenntnis wichtiger ist als Beschilderung und wo es oft effektiver ist, einen Mitreisenden zu fragen, als im Fahrplan nachzuschauen. Die Preise variieren stark und werden gelegentlich vom Fahrer spontan angepasst – insbesondere, wenn der Akzent eine ausländische Herkunft verrät. Was für Einheimische 10 Lari kostet, kann für Touristen schnell zu einem Fahrpreis von 15 Lari werden.

Wer mehr Flexibilität oder Abenteuer sucht, kann in ganz Georgien per Anhalter fahren. Die Hauptverkehrsadern von Tiflis verlaufen meist in Richtung regionaler Knotenpunkte, und die Fahrer halten oft ohne Aufforderung an. Umgekehrt kann das Trampen in die Stadt aufgrund des komplexen Straßennetzes und der dichteren Bebauung weniger vorhersehbar sein.

Im Stadtzentrum bietet Tiflis ein chaotisches, aber funktionierendes Verkehrsnetz. Die U-Bahn mit zwei sich kreuzenden Linien bildet nach wie vor das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs. Erbaut während der Sowjetzeit, hat sie viel von ihrer ursprünglichen Atmosphäre bewahrt – dunkle Korridore, blecherne Rolltreppen, funktionales Design –, obwohl viele Stationen inzwischen zweisprachig beschildert und besser beleuchtet sind. Busse, viele davon neu angeschafft, sind dank elektronischer Anzeigetafeln und Google Maps-Integration einfacher zu benutzen, doch die Streckenbeschreibungen – oft nur auf Georgisch – zu verstehen, ist für Neuankömmlinge nach wie vor eine Herausforderung.

Dann gibt es noch die Marschrutkas, die weiterhin innerstädtische Strecken bedienen, wenn auch mit weniger Vorhersehbarkeit. Diese oft aus Nutzfahrzeugen umgerüsteten Kleinbusse schlängeln sich durch Viertel, die außerhalb der Reichweite von U-Bahn und Buslinien liegen. Um auszusteigen, muss man im richtigen Moment „Gaacheret“ rufen, und das Geld wird direkt dem Fahrer übergeben. Trotz ihrer Informalität bleiben Marschrutkas für viele Einwohner unverzichtbar.

Taxis sind günstig, vor allem wenn man sie über Apps bestellt. Allerdings gelten die gleichen Nachteile wie überall in der Region: Sie haben keinen Taxameter, sind unreguliert und man kann sich manchmal desorientiert fühlen. Selbst innerhalb der Stadt kommt es nicht selten vor, dass ein Fahrer mitten in der Fahrt anhält und nach dem Weg fragt. Geduld ist also geboten.

In den letzten Jahren sind alternative Verkehrsmittel aufgetaucht. Die einst seltene Nutzung von Fahrrädern gewinnt an Bedeutung, insbesondere in den flacheren Bezirken Vake und Saburtalo, wo langsam eigene Radwege entstehen. Auch Rollerverleihfirmen sind auf den Markt gekommen, deren langfristige Rentabilität jedoch unklar ist. Ein wachsendes Radwegenetz signalisiert einen kulturellen Wandel – bescheiden, aber spürbar.

Die Straßen selbst offenbaren eine Stadt im Dialog mit der Moderne. In manchen Gegenden fehlt oder bröckelt die Fußgängerinfrastruktur. Zebrastreifen sind vorhanden, werden aber selten beachtet. Gehwege sind uneben und oft durch parkende Autos oder Verkaufsstände blockiert. Dennoch ist die Stadt, insbesondere ihr historischer Kern, bemerkenswert gut zu Fuß zu erkunden. Das Überqueren der Friedensbrücke, einer markanten modernen Fußgängerbrücke über den Fluss Mtkwari, erinnert daran, dass Tiflis auch im anhaltenden Wandel tief in seinem Ortsgefühl verwurzelt bleibt.

Tiflis ist mehr als nur ein Punkt auf der Landkarte oder ein kultureller Außenposten. Es ist ein komplexer Ausdruck seiner Geografie und Geschichte – ein Ort, an dem Bewegung, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne, ebenso viel mit Anpassung wie mit Richtung zu tun hat.

Altstadt, Stadtteile und Alltagsrhythmen

Die sinnliche Schwere Tiflis legt sich schnell. Nicht als Zumutung, sondern als stille Umarmung – Ziegel unter den Füßen, abblätternder Putz von den Fassaden, feuchtes Holz, das sich im sonnenwarmen Schatten wellt. Diese Stadt ist ebenso aus Lehm und Erinnerung wie aus Beton oder Glas erbaut. Im dichten Geflecht der Altstadt – Dzveli Tbilisi – ist die Vergangenheit nicht einfach nur erhalten; sie wird bewohnt, stellenweise renoviert und stellenweise durch den Lauf der Zeit und des Kapitals sanft erodiert.

Die Altstadt liegt zwischen dem Freiheitsplatz, dem Fluss Mtkwari und der hoch über ihr aufragenden Zitadelle, der Festung Narikala. Hier formt die Geografie die Straßen zu einer komplexen Topografie aus Steigung und Gefälle. Kein Masterplan bestimmt dieses Viertel. Häuser thronen in unlogischer Anordnung an den Hängen, und Balkone – manche aus Holz, andere aus Metall, viele gefährlich freitragend – ragen in unregelmäßigen Winkeln in die Straßen hinein. Wäscheleinen ziehen sich wie improvisierte Architektur durch die Gassen. Satellitenschüsseln ragen wie widerspenstige Blüten aus Fenstern, die von alten Spitzenvorhängen eingerahmt werden.

Trotz seines verfallenen Charmes ist ein Großteil der Altstadt von Tiflis nach wie vor ein funktionales Wohngebiet. Zwischen Kunstgalerien, Kunsthandwerksläden und Restaurants für Besucher wohnen Familien noch immer in Gebäuden, deren Treppenhäuser schief sind und deren Innenhöfe als Gemeinschaftsküchen und Salons dienen. Die historische Schichtung des Gebiets ist spürbar: Islamische, armenische, georgische und sowjetische Schichten koexistieren mit einer unruhigen Anmut. Die Moscheen, Kirchen und Synagogen sind keine Relikte – sie sind aktive Gotteshäuser, die oft nur wenige Blocks voneinander entfernt stehen und sich manchmal sogar die Wände teilen.

Der Unterbezirk Sololaki, südwestlich des Freiheitsplatzes gelegen, ist architektonisch vielleicht der eindrucksvollste. Jugendstilvillen, einst Wohnsitz von Kaufmannsdynastien und der Intelligenz, befinden sich heute in verschiedenen Stadien der Wiederbelebung oder des Niedergangs. In Straßen wie Lado Asatiani oder Ivane Machabeli begegnet man geschnitzten Holztreppen, verfallenden Stuckfriesen und Innenhöfen voller Hortensien, die in rissigen Becken wachsen. Es ist ein Viertel von ungewöhnlich stiller Pracht, in dem jedes Gebäude auf eine vergangene Ära verblassten Kosmopolitismus hinzuweisen scheint.

Ganz in der Nähe liegt Betlemi, benannt nach seiner Kirche aus dem 18. Jahrhundert, in der sich einige der ältesten christlichen Bauwerke der Stadt befinden. Gepflasterte Wege schlängeln sich nach oben und geben den Blick von den Dächern auf die Stadt und den darunterliegenden Fluss frei. In der Dämmerung verändert sich das Licht in diesem Viertel mit der Präzision eines Theaters. Man sieht Kinder zwischen Treppenhäusern rennen, Hunde durch Hoftore schlängeln und das schwache blaue Leuchten von Fernsehern durch handgeschliffene Glasscheiben dringen.

Die Chardeni-Straße – heute als Nachtleben-Enklave stilisiert – bildet einen Kontrast. Ihre polierten Fassaden und die geordnete Beschilderung signalisieren einen Wandel hin zu kuratiertem Konsum. Der Bohème-Geist, der einst mit diesem Stadtteil in Verbindung gebracht wurde, ist nur noch dem Namen nach vorhanden; die Lokale sind teurer, die Speisekarten in vier Sprachen übersetzt und die Atmosphäre performativer. Dennoch bleiben einige Ecken unkultiviert und widersetzen sich der Sogwirkung der Investorenlogik. Anderswo gelingt es Straßen wie Sioni und Shavteli, eine Art spontaner Kunstfertigkeit zu bewahren: Maler, die Leinwände verkaufen, improvisierte Puppentheater vor Rezo Gabriadzes schiefem Uhrenturm und das gedämpfte Gemurmel der Nachbarn, die neben winzigen Lebensmittelläden tratschen.

Überquert man den Fluss Mtkwari über die Metechi-Brücke, verändert sich der Charakter der Viertel. In Avlabari am Ostufer steht die Sameba-Kathedrale – Tiflis prominentestes und zugleich umstrittenstes religiöses Bauwerk. Erbaut zwischen 1995 und 2004, überragt die Kathedrale das Stadtbild mit geradezu imperialer Prägnanz. Ihre Kuppel, gekrönt von einem goldbedeckten Kreuz, erhebt sich 105,5 Meter über den Hügel und macht sie damit zur dritthöchsten ostorthodoxen Kathedrale der Welt. Der Innenraum, der sich noch immer in künstlerischer Umbauphase befindet, ist ein Mosaik aus Alt und Neu: traditionelle Fresken sind in Arbeit, Mosaikaltäre in Arbeit und ein Grundriss, der Anleihen bei mittelalterlichen Kirchenbauten nimmt, sich jedoch durch moderne Vertikalität aufdrängt.

Avlabari selbst, einst Heimat einer lebendigen armenischen Bevölkerung, trägt die anhaltende Spannung des demografischen Wandels in sich. Das Straßenleben ist weniger prunkvoll als in den touristisch geprägten Teilen der Altstadt, aber aufschlussreicher. Händler verkaufen Obst aus dem Kofferraum; alte Männer rauchen schweigend auf abgeplatzten Bänken; Mütter ziehen Kinderwagen über unebene Gehwege und halten gelegentlich inne, um mit Ladenbesitzern zu plaudern. Auch hier ist der Synkretismus der Stadt sichtbar. Die Jumah-Moschee steht unweit der Synagoge und der armenischen St.-Georgs-Kathedrale. Die Nähe dieser heiligen Stätten zeugt nicht nur von historischer Pluralität, sondern auch von der Fragilität des Zusammenlebens – ein Thema, das sich tief in das kulturelle Gedächtnis der Stadt eingebrannt hat.

Vake und Saburtalo, zwei der moderneren und wohlhabenderen Viertel im Westen bzw. Norden, prägen Tiflis Charakter. Breite Boulevards, internationale Schulen und neu gebaute Apartmentkomplexe signalisieren sozialen Aufstieg. In Vake geht es gemächlicher zu. Cafés mit minimalistischem Interieur und Sitzgelegenheiten im Freien säumen Straßen wie die Chavchavadze Avenue. Der Vake-Park, eine der größten Grünflächen der Stadt, bietet eine seltene Ruhepause. Hohe Bäume lockern das Wegenetz auf, Familien treffen sich an Brunnen, während junge Berufstätige an den schattigen Rändern joggen. Der Bezirk beherbergt auch die 1918 gegründete Tifliser Staatliche Universität – eine Institution, die seit langem als Symbol des georgischen Geisteslebens gilt.

Saburtalo, eher utilitaristisch gestaltet, ist geprägt von Wohnblöcken aus der Sowjetzeit und einer wachsenden Zahl von Bürogebäuden. Doch selbst hier ist die Vergangenheit sichtbar. Marktstände drängen sich in der Nähe der U-Bahn-Ausgänge und verkaufen alles von Eisenwaren bis hin zu Kräutern. Graffiti in georgischer und kyrillischer Schrift zieren die Wände – ein Beweis für kulturellen Austausch und sprachliches Zusammenleben. Baukräne wölben sich über älteren Mietshäusern, ihre Silhouetten wirken hoffnungsvoll und aufdringlich zugleich.

Diese alltäglichen Strukturen – von Frost und Fußgängern rissige Bürgersteige, funktionslos herunterhängende Straßenbahnkabel, in Cafés oder Eisenwarenläden umgebaute Schaufenster – prägen eine Stadt von schlichter Schönheit. Man kommt nicht nach Tiflis, um beeindruckt zu werden. Man kommt, um sich daran zu erinnern, dass Städte auch in baufälligen Zeiten noch bewohnbar sind.

Der Alltag schwankt zwischen gemächlichem Pragmatismus und unerwarteten Intensitätsschüben. Morgens ist der Arbeitsweg zügig, die Straßen summen vom Zuschlagen der Marschrutka-Türen und dem Rühren von Kaffee in Glasbechern mit Metalllöffeln. Mittags herrscht eine Flaute, besonders in der Sommerhitze: Die Läden schließen sich und Gespräche werden länger. Abends kommt wieder Schwung ins Spiel. Familien gehen gemeinsam spazieren, Schulkinder flitzen durch die Höfe, und Paare lehnen an Geländern und beobachten, wie der Fluss mit dem Himmel dunkler wird.

Wer Tiflis genau betrachtet, erkennt seine Widersprüche. Es ist eine Stadt der blassen Fassaden und grellen Neonlichter. Der andächtigen Stille in alten Kapellen und der Techno-Beats aus Underground-Clubs. Der Poesie, die in Holzbalkone eingraviert ist, und der Bürokratien, die ihrer Umgebung gegenüber gleichgültig bleiben. Und doch wirkt sie irgendwie zusammen. Nicht als ästhetisches Projekt oder wirtschaftlicher Triumph, sondern als lebendiger Ort.

Tiflis präsentiert sich nicht als fertige Stadt. Es ist eine Stadt im Probestadium, die ständig im Werden gefangen ist.

Heiliger Stein und Schatten – Kirchen, Kathedralen und die Architektur des Glaubens

Tiflis religiöse Architektur ist nicht bloßes Ornament; sie ist erzählend. Die in Tuffstein, Ziegel und Basalt gehauenen Sakralbauten der Stadt spiegeln Jahrhunderte kultureller Verflechtung, theologischen Widerstands und liturgischer Innovation wider. Sie zeugen nicht nur vom Glauben, sondern auch vom sich entwickelnden Identitätsbewusstsein der Stadt – eine spirituelle Kartografie, so komplex wie Tiflis sich verändernde Grenzen.

Im Zentrum dieser architektonischen Liturgie steht die Sameba-Kathedrale, die Heilige Dreifaltigkeit. Auf dem Elia-Hügel in Avlabari emporragend, weckt sie Ehrfurcht und Ambivalenz zugleich. Ihr vergoldetes Kreuz wurde 2004 fertiggestellt und ist von fast jedem Punkt der Stadt aus sichtbar – ein markantes Statement aus Blattgold und Kalkstein. Mit über 105 Metern Höhe ist sie nicht nur ein Gotteshaus, sondern ein Spektakel der Selbstbehauptung – eine Fusion verschiedener mittelalterlicher georgischer Kirchenformen, adaptiert an eine postsowjetische Vorstellungswelt. Kritiker beklagen oft ihre Größe und ästhetische Bombasthaftigkeit; andere sehen in ihr eine kraftvolle Wiederherstellung des Nationalbewusstseins. Ihre neun Kapellen – einige davon im Erdreich versunken – sind aus Stein gehauen, und die Innenräume werden von Wandmalereien erhellt, die unter der sorgfältigen Aufsicht georgischer Künstler fortgeführt werden.

Ältere, ruhigere Bauwerke finden sich anderswo in der Stadt. Die Antschischati-Basilika aus dem 6. Jahrhundert ist die älteste erhaltene Kirche Tiflis. Nördlich des Flusses Mtkwari, nahe der Schawteli-Straße gelegen, bewahrt die Basilika ihre schlichte, schlichte Würde. Der gelbe Tuffstein ist in Würde gealtert, und der schattige und kleine Innenraum wirkt eher wie ein privater Votivraum als wie ein großes Gotteshaus. Trotz seiner bescheidenen Ausmaße bleibt er aktiv – ein Ort für Kerzenlicht und Gesang, unberührt vom Tourismus.

Weiter oben auf dem Hügel bewahrt die Sioni-Kathedrale sowohl historische als auch symbolische Bedeutung. Sie diente jahrhundertelang als wichtigste georgisch-orthodoxe Kathedrale und beherbergt das verehrte Kreuz der Heiligen Nino, die im 4. Jahrhundert das Christentum nach Georgien gebracht haben soll. Wiederholt von Invasoren zerstört und wiederaufgebaut, trägt ihre heutige Form architektonische Spuren des 13. bis 19. Jahrhunderts. Die schweren Steinmauern der Kathedrale zeugen von dieser Geschichte, und ihr Innenhof ist oft voller stiller Pilger, älterer Gemeindemitglieder und neugieriger Kinder, die mit ihren Fingern die Schnitzereien in den Wänden entlangfahren.

Die Metechi-Kirche, hoch oben auf einer Klippe über dem Fluss gelegen, bietet einen eher theatralischen Anblick. Ihre Lage – direkt über der steinernen Bühne der Metechi-Brücke – macht sie zu einem der meistfotografierten Wahrzeichen der Stadt. Erbaut im 13. Jahrhundert unter König Demeter II., wurde sie unter russischer Herrschaft beschädigt, wiederaufgebaut, umfunktioniert und sogar als Gefängnis genutzt. Ihr Entwurf trotzt jeglicher Symmetrie: ein gewölbter, kreuzförmiger Grundriss, jedoch proportional versetzt. Drinnen ist die Luft kühl und rauchig vom Weihrauch, und die Gottesdienste finden in einem Rhythmus statt, der bis heute unverändert scheint.

Die kirchliche Vielfalt Tiflis geht weit über die georgisch-orthodoxe Tradition hinaus. Die armenische St.-Georgs-Kathedrale im Herzen des alten armenischen Viertels nahe dem Meydan-Platz ist ein ergreifendes Zeugnis für die historische Tiefe der Gemeinde. Erbaut 1251 und noch immer in Betrieb, beherbergt sie das Grabmal von Sayat-Nova, dem berühmten Dichter des 18. Jahrhunderts, dessen Lieder sprachliche und kulturelle Grenzen überschritten. Ganz in der Nähe steht die Norashen-Kirche – vernagelt und politisch umstritten – und zeugt von einem weitaus brüchigeren Erbe. Ihr Mauerwerk aus der Mitte des 15. Jahrhunderts ist von Vernachlässigung und politischen Auseinandersetzungen gezeichnet. In der umliegenden Nachbarschaft wimmelt es von ungeklärten Fragen nach Zugehörigkeit und Erbe – Fragen, die in das bröckelnde Mauerwerk eingeschrieben sind.

Am östlichen Rand der Altstadt steht die Dschuma-Moschee, ein seltenes architektonisches Beispiel gemeinsamer Religionsausübung. Sie dient sowohl Sunniten als auch Schiiten – eine selbst weltweit ungewöhnliche Konstellation. Der schlichte Backsteinbau, im 19. Jahrhundert wiederaufgebaut, öffnet sich zu einem steilen Weg, der zum Botanischen Garten führt. Wie ein Großteil des spirituellen Lebens in Tiflis widersetzt sich auch die Moschee still der Homogenität; ihr Minarett ist zwar sichtbar, aber unaufdringlich.

Die Große Synagoge in der Kote-Abkhazi-Straße, fertiggestellt 1910, ergänzt das religiöse Mosaik um eine weitere Ebene. Sie ist ein funktionierendes Gotteshaus für Tiflis schwindende, aber beständige jüdische Gemeinde, deren Wurzeln in Georgien größtenteils über 2.000 Jahre zurückreichen. Die dunklen Holzbänke und polierten Böden der Synagoge zeugen von Kontinuität. Obwohl die jüdische Bevölkerung der Stadt dramatisch zurückgegangen ist, bleibt das Gebäude aktiv und füllt sich an wichtigen Feiertagen mit Familien, Studenten und Älteren, die in georgisch angehauchtem Hebräisch die alte Liturgie singen.

Unweit des Freiheitsplatzes steht die katholische Himmelfahrtskirche der Jungfrau Maria, ein pseudogotisches Gebäude mit Buntglasfenstern und dezenten barocken Akzenten. Erbaut im 13. Jahrhundert und seitdem mehrfach umgebaut, spiegelt sie sowohl architektonischen Ehrgeiz als auch die historische Reichweite der römisch-katholischen Kirche im Kaukasus wider. Ihr Turm, obwohl für westliche Verhältnisse bescheiden, bildet eine markante Silhouette vor der sanfteren Skyline aus Kuppeln und Ziegeldächern.

Überall in der Stadt sind kleinere, oft namenlose Kapellen und Schreine in den Wohnvierteln zu finden. Sie sind oft an Einfamilienhäuser angebaut oder in die Mauern älterer Gebäude eingebettet. Sie sind weder in Reiseführern noch in kulturellen Glossaren aufgeführt. Dennoch sind sie für die gelebte religiöse Topografie der Stadt von entscheidender Bedeutung. Man könnte jeden Tag an einem solchen Ort vorbeigehen und ihn erst bemerken, wenn darin eine Kerze brennt.

Tiflis Pantheon religiöser Bauwerke offenbart mehr als nur Frömmigkeit – es offenbart den fortbestehenden Pluralismus. Über Jahrhunderte des Imperiums, der Konflikte und der Reformen beherbergte die Stadt eine Vielzahl von Glaubensrichtungen, oft dicht beieinander, manchmal in Spannungen, aber selten ausgelöscht. Die architektonische Vielfalt ist nicht ornamental, sondern strukturell. Sie spiegelt die granulare Spezifität des Glaubens über Gemeinschaften, Dynastien und Diasporas hinweg wider. Jede Kuppel, jedes Minarett und jeder Glockenturm zeichnet einen anderen Rhythmus der heiligen Zeit nach, und jede Hofkapelle flüstert ihre eigene Version der Gnade.

Zwischen diesen Gebäuden zu wandeln bedeutet, einen Text zu lesen, der nicht in Worten, sondern in Stein und Ritualen geschrieben ist. Die sakrale Architektur Tiflis besteht nicht nur als Ansammlung von Monumenten fort, sondern als Ensemble lebendiger Orte – noch immer lebendig, noch immer umkämpft, noch immer genutzt.

Erde, Wasser, Wärme – Schwefelbäder und das physische Gedächtnis eines Ortes

Die Grundfesten Tiflis wurden nicht allein durch politischen Willen oder geografische Notwendigkeiten gelegt, sondern durch die Anziehungskraft des geothermischen Wassers. Schon die Entstehungsgeschichte der Stadt – König Wachtangs sagenumwobener Fasan, der in eine dampfende Quelle fiel – verbindet die physische Geographie Tiflis mit seinem metaphysischen Leben. Dieses Zusammenspiel von Erde und Wärme brodelt noch immer buchstäblich unter den ältesten Vierteln der Stadt.

Die Schwefelbäder von Abanotubani, eingebettet in Flussnähe südlich der Metechi-Brücke, prägen nach wie vor die Identität der Stadt. Schon der Name des Viertels – abgeleitet von „abano“, dem georgischen Wort für „Bad“ – verrät seinen hydrothermalen Ursprung. Kuppeln aus beigem Backstein erheben sich knapp über dem Straßenniveau und haben eine unverwechselbare Form: rund, niedrig und mit der Zeit porös geworden. Unter ihnen liegt der Duft von Mineralien und Stein, getragen von Dampf, der sich nie vollständig verflüchtigt.

Jahrhundertelang dienten diese Bäder sowohl als Reinigungsritual als auch als gesellschaftlicher Ort. Könige und Dichter, Händler und Reisende besuchten sie. Sie wurden in persischen Manuskripten und russischen Memoiren erwähnt. Alexandre Dumas beschrieb seinen Besuch im 19. Jahrhundert mit Faszination und Betroffenheit zugleich. Hier wird das Baden zu einer gemeinschaftlichen Zeremonie – ein Ausgleich zwischen Privatsphäre und Ausgesetztheit, Temperatur und Beschaffenheit.

Das natürlich erwärmte und schwefelwasserstoffreiche Wasser fließt in geflieste Räume, in denen die Gäste sitzen, baden und sich schrubben. Die meisten Bäder sind ähnlich aufgebaut: private Räume, die gemietet werden können, sind jeweils mit einem Steinbecken, einer Marmorplattform und einer kleinen Umkleidekabine ausgestattet. Einige bieten Massagen an, die man treffender als gründliche Peelings beschreiben kann und die mit der zügigen Effizienz alter Rituale durchgeführt werden. Andere haben öffentliche Bereiche, in denen Fremde schweigend oder plaudernd ein dampfendes Becken teilen, wobei die Grenzen durch Dampf und Zeit verschwimmen.

Die Bäder haben einen sehr unterschiedlichen Charakter. Manche sind elegant und richten sich an diejenigen, die eine Spa-ähnliche Atmosphäre suchen; andere wirken abgenutzt und schlicht, seit Generationen unverändert. Bad Nr. 5 ist das letzte der wirklich öffentlichen Bäder – erschwinglich, schlicht und gut besucht. Der Männerbereich hat seinen utilitaristischen Rhythmus bewahrt: Man tritt ein, wäscht sich, badet und verlässt das Bad ohne viel Aufwand. Der Frauenbereich, der mit eingeschränkteren Einrichtungen ausgestattet ist, dient noch immer seinen Stammgästen – obwohl sein Verfall von manchen als Zeichen für eine allgemeine Vernachlässigung der öffentlichen Infrastruktur gegenüber Geschlechtern angesehen wird.

Die Königlichen Bäder, direkt neben dem Wirtshaus, bieten ein Erlebnis zwischen Luxus und Tradition. Die gewölbten Decken sind restauriert, Mosaike neu verfugt und mehrsprachige Speisekarten liegen bereit. Die Preise spiegeln diesen Glanz wider. Und während viele Besucher zufrieden abreisen, berichten andere von Ungereimtheiten – unerwarteten Zuschlägen, doppelten Preissystemen oder unvorhergesehenem Service. Diese Unvorhersehbarkeit gehört jedoch zum Charakter der Stadt. Nichts ist in Tiflis vollkommen festgelegt, vor allem nicht unter der Oberfläche.

Nördlich des Abanotubani-Viertels, hinter einem Gewirr steiler Stufen und verwitterter Fassaden, verbergen sich weitere kleinere Badehäuser in relativer Unbekanntheit. Bagni Zolfo, versteckt hinter der U-Bahn-Station Marjanishvili, ist ein solcher Ort. Weniger gepflegt, eher von Einheimischen besucht, herrscht hier eine andere Atmosphäre – leise anachronistisch und manchmal schroff utilitaristisch. Im Obergeschoss befindet sich eine bei älteren Männern beliebte Sauna, die gleichzeitig als diskreter Gesellschaftsclub dient. Es gibt auch ein bekanntes schwules Publikum, vor allem abends, obwohl Diskretion weiterhin die unausgesprochene Regel bleibt.

Diese Schwefelbäder erfüllen weit mehr als nur Hygiene oder Genuss. Sie sind Orte verkörperter Kontinuität, physischer Ausdruck des geothermischen Erbes der Stadt. Die Mineralien im Wasser, das Knarren der Steine, die tiefe Wärme der Umgebung – diese Empfindungen sind Teil der sensorischen Infrastruktur der Stadt, ebenso gültig und beständig wie Brücken oder Denkmäler.

Und doch ist auch der Boden, der diese Quellen speist, einer Belastung ausgesetzt. Der Boden unter Tiflis ist seismisch aktiv und verschiebt sich gelegentlich in stillem Protest. Gebäude müssen dieser Instabilität standhalten. Rohre lecken. Wände schwellen an. Doch die Bäder bestehen weiter, gespeist von tiefen Grundwasserleitern, deren Zweck sich seit der Zeit vor der Stadtgründung nicht geändert hat.

Das Baderitual ist langsam. Es widersetzt sich der Digitalisierung. Telefone beschlagen und versagen. Der menschliche Körper kommt zu sich selbst zurück, Schmerzen lindern sich in der mineralischen Wärme. Die Haut wird wund geschrubbt und erneuert. Muskeln erschlaffen. Gespräche, wenn überhaupt, sind spärlich. Oft werden sie auf Russisch oder Georgisch geführt, gelegentlich über dampfglatt geflieste Fliesen geflüstert. Natürlich gibt es Momente des Lachens, manchmal aber auch Momente stiller Besinnung. Ein Mann, der allein in einem Becken sitzt, während das Wasser sanft über seine Knie plätschert, könnte über etwas so Alltägliches wie Besorgungen oder so Tiefgründiges wie Trauer nachdenken. Die Bäder ermöglichen beides.

In einer Stadt des ständigen Wandels sind die Schwefelbäder eine der wenigen Konstanten. Ihr Reiz liegt nicht in der Neuheit, sondern in der Kontinuität. Sie erinnern an eine elementare Wahrheit: Unter den von uns errichteten Oberflächen erwärmt und fließt die Erde weiter, unverändert in ihrer uralten Großzügigkeit.

Für Besucher kann ein Besuch im Bad verwirrend sein – intim, körperlich und ohne klare Etikette. Man muss sich nicht nur in den Räumen zurechtfinden, sondern auch an die unausgesprochenen Regeln halten: wann man spricht, wie man sich schrubbt, wie viel Trinkgeld man gibt. Doch für die Bewohner, insbesondere die älteren Generationen, sind diese Bäder weniger ein Ziel als vielmehr ein Rhythmus. Sie kommen wöchentlich, monatlich oder nur, wenn etwas weh tut. Sie kennen die bevorzugten Becken, die ehrlichsten Bademeister und die Temperatur, die lindert, anstatt zu schockieren.

Wer in die Bäder von Tiflis eintaucht, erlebt die Stadt nicht durch ihre Architektur, ihre Küche oder ihre Geschichte, sondern durch die Haut. Man wird von demselben Wasser gewärmt, das einst einen König zum Bau seiner Hauptstadt inspirierte – und das noch heute still und leise ihre Seele prägt.

Festung Narikala, Botanischer Garten und die Geographie der Perspektive

Von fast jedem Punkt im Zentrum Tiflis zieht der Blick unweigerlich nach oben zu den Überresten der Festung Narikala. Ihre kantige Silhouette ragt in den Himmel, thront auf einem steilen Abhang und wacht über die Altstadt und den langsam fließenden Fluss Mtkwari. Die Festung ist nicht makellos – ihre Mauern bröckeln stellenweise, ihr Bergfried ist teilweise eingestürzt –, aber sie steht noch immer unerschütterlich da, eine gezackte Geometrie, die sich gegen den Horizont abzeichnet.

Narikala ist älter als Tiflis in seiner heutigen Form. Die im 4. Jahrhundert von den Persern gegründete und später von den arabischen Emiren erweiterte Festung wurde mehrfach verändert, beschossen und wiederaufgebaut. Sie ging durch mongolische, byzantinische und georgische Königshäuser. Die Mongolen nannten sie Narin Qala – „Kleine Festung“ – ein Name, der auch nach dem Zusammenbruch von Imperien und der Neuordnung von Grenzen Bestand hatte. Trotz dieses kleinen Namens prägt die Festung die räumliche und symbolische Architektur der Stadt. Von ihren Wällen aus erkennt man die Ausdehnung Tiflis nicht auf Karten, sondern am sanften Auf und Ab der Dächer, dem Schimmern der Glastürme bei Rustaweli und dem langsamen Flackern der Lichter in den Wohnblöcken Saburtalos.

Der Aufstieg nach Narikala ist steil. Man kann ihn zu Fuß über schmale Treppen erreichen, die in Betlemi oder Abanotubani beginnen und sich an niedrigen Mauern, Wildblumen und gelegentlich streunenden Hunden vorbeischlängeln. Alternativ kann man die Seilbahn vom Rike Park nehmen – lautlos über den Fluss gleitend – und die Passagiere in weniger als zwei Minuten zum oberen Rand der Festung bringen. Der Aufstieg selbst wird zu einer Art Ritual, einer Neuorientierung. Mit jedem Schritt sinkt die Stadt tiefer, ihr Lärm verwandelt sich in Murmeln, ihre Dichte in Muster.

Ab Mai 2024 ist die Anlage aufgrund anhaltender struktureller Instabilität vorübergehend für Besucher geschlossen. Die Schließung ist zwar bedauerlich, entbehrt aber nicht ihrer Poesie. Auch unzugänglich behält die Festung ihre Anziehungskraft. Sie ist nicht nur eine Touristenattraktion – sie bildet eine Schwelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen gebauter Geschichte und geologischer Zeit.

An der Ostseite von Narikala liegt eine der weniger bekannten Anlagen Tiflis: der Nationale Botanische Garten. Er erstreckt sich über ein schmales, bewaldetes Tal, verläuft von den Festungsmauern herab und folgt über einen Kilometer dem gewundenen Bach Tsavkisis-Tskali. Er wurde 1845 gegründet, also vor vielen anderen Kultureinrichtungen der Stadt, und spiegelt einen anderen Anspruch wider – nicht den der Herrschaft, sondern der Pflege.

Die Anlage des Gartens ist uneben und teilweise ungepflegt. Wege verlieren sich im Dickicht, Beschilderungen sind sporadisch und die Pflege kann unregelmäßig sein. Doch gerade seine Unregelmäßigkeit verleiht ihm Intimität. Es ist kein gepflegter Park, sondern ein lebendiges Archiv der Pflanzenwelt – mediterrane, kaukasische und subtropische Arten gedeihen hier nebeneinander. Der Südhang erhält grelles Licht und beherbergt winterharte Sträucher; die nördlichen Hügel sind schattig und feucht und beherbergen Moos und Farne. Ein Wasserfall, bescheiden, aber beständig, untermalt die Landschaft mit seinem Klang.

Es gibt formale Bereiche: ein Parterre am Garteneingang, kleine Gewächshäuser und eine Seilrutsche für Abenteuerlustige. Doch die schönsten Momente sind zufällig. Eine Bank, die teilweise von fallendem Laub verschüttet ist. Ein Kind, das ein Papierboot in den Bach wirft. Ein Paar, das mit einem gemeinsamen Regenschirm einen rutschigen Pfad hinuntergeht. Der Garten erzwingt keine Geschichte; er bietet ein Terrain, das sich langsam entfaltet.

Weiter oben auf dem westlichen Bergrücken, hinter den Baumwipfeln und direkt unterhalb der Mutter-Georgia-Statue, eröffnet sich eine weitere Perspektive. Das Kartlis-Deda-Denkmal – ein 20 Meter langes, silbernes Aluminium in Nationaltracht – steht wachsam, kriegerisch und mütterlich zugleich. In der einen Hand hält sie ein Schwert, in der anderen eine Schale Wein: Gastfreundschaft für Freunde, Widerstand für Feinde. Die Figur wurde 1958 zum 1500-jährigen Stadtjubiläum aufgestellt und ist seitdem zum Sinnbild für Tiflis‘ Haltung geworden – einladend, aber nicht naiv.

Unter ihr erstreckt sich der botanische Garten in einer sanften Kaskade aus Bäumen und Unterholz. Darüber flacht der Bergrücken in die Sololaki-Hügel ab, von wo aus man den gesamten Stadtbogen überblicken kann: den gewundenen Mtkwari, das barocke Durcheinander der Altstadt von Tiflis, die gitterartige Monotonie von Saburtalo und die hohen, dunstigen Bergrücken dahinter. Von hier aus wird Tiflis ganze Widersprüchlichkeit lesbar – nicht als Verwirrung, sondern als Polyphonie. Die Festung, der Garten, die Statue – sie bilden eine Triade von Erzählungen, erzählt in Stein, Blatt und Metall.

Die Beziehung zwischen Stadt und Hügel ist nicht nur ästhetischer Natur. Sie ist prägnanter Natur. Von diesen Höhen aus erinnert man sich an die Stadt in ihren Schichten. Der Fluss formt die Grundschicht. Darüber ragen die Viertel wie Schichten hervor: Kaufmannsvillen aus dem 19. Jahrhundert, sowjetische Wohnblöcke, gläserne Penthäuser, alles in die ungleichmäßige Höhe gepresst. Es ist eine Stadt, die ihr Wachstum nicht verbirgt, sondern es im Relief sichtbar werden lässt.

Der Rückweg von Narikala oder dem Botanischen Garten in die tiefer gelegenen Viertel bedeutet nicht nur einen Höhenverlust, sondern auch ein Abstieg ins Tempo. Langsam kehrt der Lärm zurück – das Summen des Verkehrs, das Bellen von Hunden, das Klappern von Geschirr aus den Dachrestaurants. Die Luft wird schwerer, der Geruch von Abgasen und Gewürzen nimmt zu. Doch die Höhe bleibt, nicht als Höhe, sondern als Erinnerung. Man trägt den Blick nach innen, eine mentale Kartografie, geprägt nicht vom GPS, sondern von der Form der Bergkämme und dem Winkel des Abendlichts.

Diese erhöhten Räume – unreguliert, teilweise wild, geprägt von Geschichte und Hanglage – bieten, was nur wenige Städte noch bieten: eine unmittelbare Perspektive. Keine Warteschlangen, keine Kopfhörer, kein Samtkordel. Nur Erde, Stein und Himmel. Und die Stadt, darunter angeordnet wie ein lebendiger Text.

Erbe und Abwesenheit: Museen, Erinnerung und die Architektur des Verlusts

In Tiflis ist Erinnerung keine abstrakte Übung. Sie ist materiell – verstreut in Kellern und Vitrinen, auf verwitterten Tafeln befestigt, in stillen Räumen bewacht. Die Museen der Stadt drängen sich nicht nach Aufmerksamkeit. Viele sind in ehemaligen Villen oder institutionellen Gebäuden untergebracht, deren äußere Ruhe die Tiefe ihrer Sammlungen täuscht. Ihre Funktion ist nicht bloßes Ausstellen, sondern Fortbestehen: gegen Auslöschung, gegen Vergessen, gegen den langsamen Verfall des historischen Lärms.

Das georgische Nationalmuseumssystem dient als zentraler Hüter dieser Beständigkeit. Es umfasst mehrere Institutionen, die sich jeweils auf eine bestimmte Epoche, Kunstform oder einen bestimmten Erzählstrang konzentrieren. Das Simon-Dschanaschia-Museum Georgiens in der Rustaweli-Allee ist vielleicht das enzyklopädischste. Seine Dauerausstellungen spannen einen weiten Bogen – von den in Dmanisi entdeckten prähistorischen Fossilien des Homo ergaster bis hin zu mittelalterlichen Ikonen und Goldschmiedearbeiten, die den ersten europäischen Münzen vorausgingen. Diese Erhabenheit ist nicht zufällig. Georgiens metallurgische Vergangenheit, insbesondere die frühe Goldschmiedekunst, untermauert wahrscheinlich den antiken Mythos vom Goldenen Vlies. Die Schädel von Dmanisi wiederum verändern unser Verständnis menschlicher Migration und positionieren den Südkaukasus nicht als Peripherie, sondern als Ursprungsort.

Jede Etage des Museums hat ihre eigene emotionale Ebene. Die numismatische Sammlung mit über 80.000 Münzen entfaltet sich wie eine langsame Meditation über Wert und Reich. Das mittelalterliche Lapidarium ist greifbar – Steinplatten mit urartäischen und georgischen Inschriften, deren Bedeutung mal bekannt, mal verloren ist. Und dann ist da noch das Museum der sowjetischen Besatzung im Obergeschoss. Schlicht und unnachgiebig dokumentiert es Georgiens Jahrhundert der Unterdrückung durch Zaren und Sowjets. Fotos verschwundener Dichter. Exilbefehle. Fragmente von Überwachungsgeräten. Ein rotes Hauptbuch mit Namens- und Datenlisten. Es ist ein Raum voller Stille.

Andernorts wird die Erinnerung mit ruhigeren Pinselstrichen bewahrt. Das Tifliser Geschichtsmuseum, untergebracht in einer ehemaligen Karawanserei in der Sioni-Straße, bildet den Mittelpunkt der Stadt. Seine Größe ist bescheiden – man bewegt sich durch Räume, die eher an Wohnhäuser als an Galerien erinnern – doch seine Intention ist präzise. Alltagsgegenstände, Karten, Textilien und Fotografien zeichnen ein detailliertes Porträt des Stadtlebens. Die Außenfassade des Gebäudes ist geprägt von Bögen und Mauerwerk im osmanischen Stil und zeugt von seiner kommerziellen Vergangenheit als Zufluchtsort für Händler entlang der Seidenstraße. Im Inneren wird die Stadt nicht abstrakt, sondern nah dargestellt: Töpfe, Werkzeuge und Kleidungsstücke, die einst von den Bewohnern derselben Straßen in die Hand genommen wurden, liegen nun unter den Füßen.

Das Freilichtmuseum für Völkerkunde, nahe dem Turtle Lake in den hügeligen Außenbezirken von Vake gelegen, bietet ein Archiv anderer Art. Es erstreckt sich über einen bewaldeten Hang und versammelt siebzig Bauwerke aus verschiedenen georgianischen Regionen – Häuser, Türme, Weinpressen und Getreidespeicher. Dies ist kein Miniaturdorf, sondern eine verstreute Erinnerungskarte, eine räumliche Anthologie volkstümlicher Architektur. Manche Gebäude neigen sich in seltsamen Winkeln. Andere sind baufällig. Doch viele werden gepflegt, und Dozenten erklären in geübter Sprache die Bedeutung von Strohdächern, geschnitzten Balkonen und Verteidigungstürmen. Der fehlende Glanz unterstreicht die Authentizität. Es handelt sich nicht um eine stilisierte Reproduktion, sondern um eine Ansammlung authentischer Überreste, zusammengefügt durch Geographie und Mühe.

Auch die Kunst findet in diesem mnemonischen Terrain ihren Platz. Die Nationalgalerie am Rustaweli-Prospekt besitzt eine umfangreiche Sammlung georgischer Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts, darunter Werke von Niko Pirosmani. Seine flachen Perspektiven und melancholischen Figuren – Kellner, Tiere, Zirkusszenen – wirken weniger naiv als vielmehr elementar. Pirosmani malte sparsam, oft auf Karton, und seine Bilder tragen die Stille der Volkserinnerung in sich. Sie bleiben nicht wegen ihrer Technik beliebt, sondern wegen ihrer Beschwörung einer halb imaginierten, halb erinnerten Welt.

Andere Hausmuseen würdigen das Leben bestimmter Künstler und Intellektueller. Das Galaktion-Tabidze-Museum ehrt den gequälten Dichter des georgischen Symbolismus, dessen lyrische Meisterschaft nur durch seinen psychischen Niedergang übertroffen wurde. Ähnlich präsentieren sich die Museen Elene Achwlediani und Ucha Japaridze, die die Wohnräume und Werke zweier bedeutender georgischer Maler bewahren. Diese Orte wirken intim. Sie sind nicht für große Menschenmengen konzipiert. Besucher wandern oft allein durch die Räume, wechseln zwischen Wohnräumen und Ateliers und bleiben stehen, um die an den Wänden hängenden Skizzen zu betrachten. Die Zeit scheint stillzustehen.

Der vielleicht eindrucksvollste dieser Orte ist das Schriftstellerhaus Georgiens, ein prachtvolles Herrenhaus im Stadtteil Sololaki, das der Philanthrop David Sarajishvili Anfang des 20. Jahrhunderts erbauen ließ. Seine Architektur ist eine Synthese aus Jugendstil und Neobarock, mit einem mit Villeroy & Boch-Keramik gefliesten Garten und einer großen Treppe, die bei jedem Schritt knarrt. Doch die Eleganz des Gebäudes wird durch seine düstere Geschichte getrübt. Im Juli 1937, während Stalins Säuberungen, erschoss sich der Dichter Paolo Jaschwili in einem seiner Salons – ein Akt des Trotzes und der Verzweiflung, nachdem er gezwungen worden war, Schriftstellerkollegen zu denunzieren. Heute beherbergt das Haus ein kleines Museum, das unterdrückten georgischen Schriftstellern gewidmet ist und Fotos, Briefe und Erstausgaben umfasst. Die Sammlung ist nicht vollständig. Sie kann es auch nicht sein. Doch ihre Existenz ist eine Form der Verweigerung – gegen das Schweigen, gegen die Auslöschung.

Diese Institutionen – Museen für Ethnografie, bildende Kunst, Poesie und Geschichte – tun mehr als nur ausstellen. Sie legen Zeugnis ab. Sie bewegen sich auf einem schwierigen Mittelweg zwischen Gedenken und Kontinuität und präsentieren Georgien nicht als feste Identität, sondern als eine Reihe akkumulierter Kontexte: antik, imperial, sowjetisch, postsowjetisch. Sie verkörpern zudem einen Widerspruch: Der Impuls zum Bewahren ist oft dort am stärksten, wo es häufig zu Brüchen kam.

Tiflis Museen wirken selten wie choreografiert. Die Beleuchtung ist uneinheitlich. Beschreibungen brechen manchmal mitten im Satz ab. Die Temperaturregelung ist anspruchsvoll. Doch diese Unvollkommenheiten schmälern nicht den Wert der Ausstellungsstücke. Vielmehr unterstreichen sie den Aufwand. In einer Region, die von politischer Instabilität und wirtschaftlichen Zwängen geprägt ist, ist die Führung eines Museums selbst eine kulturelle Aufgabe.

Besucher, die an schlichte Institutionen gewöhnt sind, empfinden das Erlebnis möglicherweise als unzusammenhängend. Doch wer sich aufmerksam darauf einlässt, wird sich in einen anderen Rhythmus hineingezogen fühlen – einen, in dem das Erbe nicht aufgeführt, sondern gelebt wird, in dem das Objekt weniger wichtig ist als sein Überleben und in dem Geschichte weniger ein Ausstellungsstück als vielmehr ein Seinszustand ist.

In Tiflis ist die Architektur der Erinnerung zugleich eine Architektur des Verlusts. Doch sie ist nicht elegisch. Sie ist aktiv, kontingent, andauernd.

Fortbewegung in Tiflis mit der U-Bahn, dem Marschrutka und zu Fuß

Bewegung in Tiflis ist ein Akt der Anpassung, nicht nur in Bezug auf die Richtung, sondern auch auf das Temperament. Die Stadt entfaltet sich nicht in geraden Linien oder punktuellen Rhythmen. Man „pendelt“ hier nicht im standardisierten Sinne, sondern verhandelt – mit Zeit, Raum, Wetter und der unermesslichen Elastizität der Infrastruktur. Der Verkehr in Tiflis ist improvisiert, halbwegs vorhersehbar und stark abhängig von den weichen Codes des lokalen Wissens.

Ihr Herzstück ist die Tifliser Metro, ein 1966 eröffnetes zweispuriges System, typisch für die Planung der Sowjetzeit: tiefgründig, langlebig und symbolträchtig. Die Architektur vieler Stationen spiegelt die ideologische Klarheit der Zeit wider – breite Marmorkorridore, Kronleuchter, Staatswappen – doch heute wird diese Ästhetik von alltäglicheren Realitäten überlagert: LED-Anzeigen, kontaktlose Bezahlsysteme und das Kommen und Gehen von Studenten, Händlern und Nachtschichtarbeitern. Die Züge verkehren von sechs Uhr morgens bis Mitternacht, wobei die letzten Abfahrten in der Praxis je nach Station bereits um 23 Uhr erfolgen können.

Das U-Bahn-System ist zwar nur begrenzt flächendeckend, bleibt aber das effizienteste Transportmittel, um die ausgedehnte Stadt zu durchqueren. Die rote und die grüne Linie kreuzen sich am Stationsplatz – Sadguris Moedani –, der zugleich Hauptbahnhof und überfüllter unterirdischer Markt ist. Die Beschilderung ist größtenteils zweisprachig auf Georgisch und Englisch, die Aussprache bleibt jedoch eine Herausforderung, insbesondere für diejenigen, die das georgische Alphabet nicht beherrschen. Die Einheimischen, insbesondere die ältere Generation, sprechen Georgisch und Russisch; Englisch ist unter jüngeren Fahrgästen weiter verbreitet. In den Waggons fehlen oft Karten, daher empfiehlt sich ein Ausdruck oder eine Handy-App. Die Waggons selbst variieren – einige haben USB-Anschlüsse, andere klappern noch mit den originalen Eisenbeschlägen.

Außerhalb der U-Bahn dienen Busse als Verkehrsadern der Stadt. Sie sind neuer als die Züge, in leuchtendem Grün und Blau lackiert und zunehmend digitalisiert. An den Haltestellen zeigen elektronische Schilder die nächsten Ankünfte auf Georgisch und Englisch an. Das System funktioniert jedoch alles andere als reibungslos. Die Strecken sind lang und umständlich. Viele Schilder in den Busfenstern sind nach wie vor nur auf Georgisch, und nicht alle Fahrer halten an, ohne angehalten zu werden. Der Einstieg ist von jeder Tür aus möglich, und die Fahrgäste können ihre Metromoney-Karte – die gegen eine geringe Gebühr an jeder U-Bahn-Station erhältlich ist – vorzeigen, um die Fahrt zu bestätigen. Der Fahrpreis beträgt einen Lari, und innerhalb von 90 Minuten sind kostenlose Umstiege möglich, unabhängig vom Fahrzeugtyp.

Die eigentümlichste Form des öffentlichen Nahverkehrs ist jedoch die Marschrutka, der Minibus. Diese umgebauten Kleinbusse bedienen sowohl innerstädtische als auch regionale Strecken. Ihr Nummerierungssystem unterscheidet sich von den offiziellen Buslinien, und die Informationen auf den Windschutzscheiben sind oft zu vage, um ohne Kontextwissen nützlich zu sein. „Vake“ beispielsweise kann eher eine allgemeine Richtung als eine bestimmte Straße anzeigen. Die Fahrgäste winken Marschrutkas nach Belieben heran, rufen, wenn sie anhalten möchten – meist mit einem „Gaacheret“ – und geben dem Fahrer Bargeld, das manchmal über Mitreisende weitergegeben wird. Die Marschrutka-Kultur ist geprägt von Sparsamkeit und stillschweigender Zustimmung: wenig Gespräch, wenig Komfort, aber eine unausgesprochene Übereinkunft, dass das System funktioniert, wenn auch nur knapp.

Die Marschrutkas haben viele Nachteile – Überfüllung, mangelnde Belüftung und unregelmäßige Wartung –, doch sie sind nach wie vor unverzichtbar, insbesondere in Gebieten, die an die U-Bahn nicht angebunden sind. Für Bewohner der Außenbezirke oder informeller Siedlungen bieten Marschrutkas die einzige zuverlässige Verbindung zum wirtschaftlichen Zentrum der Stadt. Sie sind sozusagen die Lebensadern der Peripherie.

Taxis, einst informell und ohne Taxameter, unterliegen seit dem Aufkommen von Mitfahr-Apps wie Bolt, Yandex.Taxi und Maxim stärkeren Regulierungen. Diese Dienste sind im internationalen Vergleich günstig, oft für weniger als einen Lari pro Kilometer, und besonders praktisch für Gruppen oder wenn der öffentliche Nahverkehr nachts eingestellt wurde. Doch trotz dieser Apps bleiben lokale Gewohnheiten bestehen. Fahrer halten an, um Fußgänger nach dem Weg zu fragen, oder ändern die Route ohne Vorwarnung, um Verkehrsstaus, Schlaglöchern oder informellen Straßensperrungen auszuweichen. GPS wird flexibel eingesetzt. Verhandlungsgeschick ist nach wie vor eine wertvolle Fähigkeit.

Zu Fuß zu gehen ist vielleicht die intimste, wenn auch unvorhersehbarste Art, Tiflis zu erleben. Die Stadt ist nicht immer fußgängerfreundlich. Bürgersteige sind vielerorts uneben oder fehlen ganz, oft versperrt durch parkende Autos, Cafémöbel oder Bauschutt. Fußgängerüberwege gibt es zwar, aber die Vorfahrt wird nicht konsequent durchgesetzt; viele Autofahrer betrachten sie als bloße Empfehlung. Doch zu Fuß bietet, was kein anderes Verkehrsmittel kann: das unmittelbare Erleben des urbanen Lebens. Man navigiert durch die Topografie der Sinne – Stein unter den Füßen, Tabakrauch in der Luft, das Geklapper an den Cafétischen, der Geruch von Koriander, Diesel und Wäsche.

Manche Viertel – Sololaki, Mtatsminda, Alt-Tiflis – offenbaren ihre Besonderheiten am besten zu Fuß. Ihre engen Gassen und steilen Treppen sind für Autos unzugänglich und für Busse unerreichbar. Hier zu Fuß zu gehen ist nicht nur Fortbewegung, sondern Begegnung: mit improvisierter Architektur, mit Straßenhunden, die sich auf warmem Beton sonnen, mit einem Nachbarn, der Walnüsse aus einem Eimer auf dem Fensterbrett teilt.

Radfahren, einst kaum existent, gewinnt langsam an Bedeutung. In Gegenden wie Vake und Saburtalo sind eigene Radwege entstanden. Das lokale Mobilitätsunternehmen Qari bietet einen Fahrradverleih per App an, dessen Benutzeroberfläche und Zahlungssysteme allerdings eher auf Anwohner als auf Kurzzeitbesucher ausgerichtet sind. Eine von der Gemeinde erstellte Karte für sicheres Radfahren soll die besten Routen der Stadt markieren, doch die Bedingungen sind alles andere als ideal. Autofahrer sind es meist nicht gewohnt, Fahrspuren zu teilen, und die Straßenbeschaffenheit kann unberechenbar sein. Dennoch bietet das Radfahren im Berufsverkehr unübertroffene Agilität und wird zunehmend von Studenten, Umweltschützern und einigen entschlossenen Pendlern genutzt.

Rollerverleihfirmen – darunter Bolt, Bird und Qari – haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Am deutlichsten ist ihre Präsenz in zentralen Bereichen, wo sich Rollergruppen in der Nähe von Sehenswürdigkeiten oder Ausgehvierteln versammeln. Wie beim Radfahren ist ihre Nutzung durch Infrastrukturlücken und die lokale Fahrkultur eingeschränkt. Auch rechtliche Unklarheiten bestehen: Helme werden selten getragen, Fußgängerzonen werden nicht konsequent beachtet und der Versicherungsschutz ist unklar. Dennoch bieten Roller für kurze Strecken und bei gutem Wetter eine schnelle, wenn auch instabile Mobilitätslösung.

Autos sind zwar allgegenwärtig, aber oft das am wenigsten effiziente Fortbewegungsmittel im Stadtzentrum. Parkplätze sind rar und chaotisch. Inoffizielle Parkwächter in Warnwesten tauchen plötzlich auf und lotsen Fahrer gegen ein kleines Trinkgeld in gefährlich enge Parklücken. Die Vorschriften werden nur lax durchgesetzt, und Doppelparken ist an der Tagesordnung. Wer sich im Gelände nicht auskennt, wird häufig von Navigationssystemen in die Irre geführt – insbesondere in den verwinkelten Hügelvierteln, wo sich die Straßen zu Treppen verengen.

Und doch geht es bei Mobilität in Tiflis weniger um Geschwindigkeit als um Belastbarkeit. Effizienz steht in der Stadt nicht im Vordergrund. Pünktlichkeit ist nicht garantiert. Sie erfordert Geduld, Anpassungsfähigkeit und die Bereitschaft, mit Unerwartetem zu rechnen. Die Routen sind flexibel. Die Fahrpläne sind ungefähr. Doch hinter dieser Unregelmäßigkeit verbirgt sich eine tiefere Beständigkeit: Die Bewegung geht weiter, ungeachtet der Hindernisse. Die Menschen finden einen Weg.

Tiflis lehrt seine Besucher nicht, wie man von Ort zu Ort gelangt, sondern wie man unterwegs ist – aufmerksam zu sein, zu warten, sich anzupassen. Es ist eine Stadt, die sich der Automatisierung widersetzt. Jede Reise ist eine Probe menschlicher Verhandlungsführung.

Märkte und Denkmäler: Wo Handel auf Erinnerung trifft

Das wirtschaftliche Zentrum Tiflis wird nicht von Wolkenkratzern oder verglasten Einkaufszentren geprägt, sondern von Orten, an denen Handel und Erinnerung aufeinandertreffen: seinen Märkten, seinen alternden Denkmälern und seinen Straßen, auf denen der Handel noch immer unter freiem Himmel stattfindet. Diese Orte spiegeln den besonderen Rhythmus der Stadt wider – weder hektisch noch statisch, sondern ständig aktiv und in einem Tempo, das eher von sozialer als von wirtschaftlicher Logik bestimmt wird.

Im Zentrum dieser Dynamik steht der Dezerter Basar, ein weitläufiger, chaotischer Komplex neben dem Bahnhofsplatz. Benannt nach den russischen Deserteuren des 19. Jahrhunderts, die hier einst ihre Ausrüstung verkauften, handelt der Markt heute mit allem anderen: Obst und Gemüse, Gewürzen, Milchprodukten, Fleisch, Werkzeug, Kleidung, gefälschter Elektronik, Eimern und gefälschten DVDs. Es gibt keinen einheitlichen Eingang. Man gelangt instinktiv oder stürmisch dorthin und betritt ein Geflecht aus Markisen und Ständen, Gängen und Schatten.

In Dezerter prallen Sprache, Duft und Textur aufeinander. Händler rufen auf Georgisch, Russisch, Aserbaidschanisch und Armenisch. Pyramiden aus Tomaten glänzen neben Fässern mit eingelegten Jonjoli. In einem Gang sind Koriander und Estragon armladungsweise gebündelt; in einem anderen hängen rohe Fleischscheiben hinter Plastikfolien. Der Boden ist uneben. Die Luft ist, besonders im Sommer, durch Hitze und Gärung dicker. Preise sind verhandelbar, doch das Ritual zählt mehr als der Rabatt. Ein Nicken, eine Kostprobe, ein gemeinsamer Kommentar zu Wetter oder Politik: Handel ist hier soziale Choreographie.

Außerhalb der Haupthalle breiten sich in den umliegenden Straßen kleinere Märkte aus. Informelle Händler säumen den Bürgersteig mit Plastikkisten und Tüchern und bieten Beeren in Plastikbechern, selbstgemachten Wein in wiederverwendeten Limonadenflaschen oder nach Farbe und Größe sortierte Socken an. Ältere Frauen verkaufen Kräuter aus ihrem Garten. Männer bieten gebrauchte Handys an provisorischen Ständen aus Kisten und Pappe feil. Es gibt keine Zoneneinteilung, keine Unterscheidung zwischen legalem und informellem Handel. Alles ist provisorisch und doch völlig vertraut.

Andere Märkte führen ihre eigenen Register. Der Trockenbrückenmarkt am Fluss Mtkwari in der Nähe der Rustaweli-Allee ist seit langem Tiflis Zentrum für informelle Antiquitäten. Ursprünglich ein Flohmarkt aus der Sowjetzeit, vereint er heute Nostalgie, Nützlichkeit und zweifelhafte Herkunft. An Wochenenden breiten Händler ihre Waren auf Decken oder wackeligen Tischen aus: Vintage-Kameras, sowjetische Medaillen, Porzellanfiguren, persische Miniaturen, Grammophone, Messer, handgemalte Ikonen und verstreute Bücher in kyrillischer Schrift. Manche Gegenstände sind Familienerbstücke. Andere sind massenproduzierte Überbleibsel sowjetischen Kitsches. Nur wenige sind beschriftet; die meisten werden mit einstudierten Geschichten verkauft, die der Realität entsprechen können, vielleicht aber auch nicht.

Der Markt ist ebenso ein Museum privater Erinnerungen wie ein Ort des Handels. Wer stöbert, kauft nicht immer. Er schlendert umher, betrachtet, fragt. Gegenstände durchlaufen mehrere Bedeutungen, bevor sie den Besitzer wechseln. Ein silberner Löffel könnte einer Großmutter gehört haben oder niemandem. Ein Stapel Postkarten aus den 1970er Jahren könnte alles sein, was von einem verschwundenen Badeort übrig geblieben ist. Feilschen ist erwünscht, aber nicht aggressiv. Die Verkäufer, viele von ihnen ältere Männer, sprechen mehrere Sprachen – Georgisch, Russisch, einige Deutsch oder Englisch. Ihre Geschichten sind Teil des Preises.

Nicht weit entfernt bieten die Tbilisi Mall und der East Point-Komplex – glänzende Einkaufszentren am Stadtrand – ein kontrastierendes Handelsmodell. Klimatisiert, mit Markenprodukten und algorithmisch strukturiert, richten sie sich an eine wachsende Mittelschicht. Diese Einkaufszentren beherbergen internationale Franchise-Unternehmen, Multiplex-Kinos und Parkplätze von der Größe kleiner Dörfer. Ihre Architektur ist postfunktional, austauschbar mit der von Warschau, Dubai oder Belgrad. Für manche Georgier stehen diese Räume für Komfort und Modernität; für andere sind sie steril, losgelöst von der sozialen Intimität des lokalen Handels. Sie definieren noch nicht die Seele Tiflis – aber sie markieren die sich wandelnden Ambitionen der Stadt.

Zwischen diesen Polen – Basar und Einkaufszentrum – liegen Tiflis kleine Nachbarschaftsläden: Sachli und Magazia, Straßenläden, die das Leben der Einheimischen prägen. Sie verkaufen Brot, Zigaretten, Streichhölzer, Limonade, Sonnenblumenöl und Lottoscheine. Viele sind kaum ausgeschildert und verlassen sich auf die Bekanntheit der Einheimischen. Kinder werden zum Essig- oder Salzkauf geschickt. Rentner verweilen beim Tratsch. Die Preise sind nicht immer konkurrenzfähig, aber die menschliche Präsenz ist unbezahlbar.

Der Handel in Tiflis, ob althergebracht oder improvisiert, ist selten frei von Emotionen. Lebensmittelkauf ist nie bloßer Erwerb. Es ist Dialog. Ein Markthändler fragt Sie, woher Sie kommen, kommentiert Ihre Aussprache, bietet Ihnen ein Stück Apfel oder eine Handvoll Bohnen zum Probieren an. Ein Fehltritt – das Berühren von Obst ohne Erlaubnis oder ein zu frühes Feilschen – mag Ihnen ein hochgezogenes Augenbrauenmuster einbringen, aber fast immer eine Korrektur statt eines Tadels. Es gibt Etikette, selbst im Chaos.

Und jenseits der Märkte prägen Denkmäler die Erinnerungskultur der Stadt. Die „Chronik Georgiens“, die auf einem Hügel nahe dem Tifliser Meer thront, ist eines der am wenigsten besuchten und zugleich monumentalsten öffentlichen Bauwerke der Stadt. Entworfen von Surab Zereteli und in den 1980er Jahren begonnen, ist sie unvollendet, aber dennoch beeindruckend. Gigantische Basaltsäulen – jede zwanzig Meter hoch – sind mit Szenen aus der georgischen Geschichte und biblischen Erzählungen verziert. Der Ort ist oft leer, abgesehen von ein paar Hochzeitsgesellschaften oder einsamen Fotografen. Seine Größe lässt den Betrachter winzig erscheinen. Seine Symbolik strebt nach Synthese: Staatlichkeit und Heilige Schrift, Könige und Kreuzigungen.

Näher am Stadtzentrum prägen Denkmäler die Landschaft, die an die Traumata und Triumphe des 20. Jahrhunderts erinnern. Das Denkmal für die Tragödie vom 9. April, bei der 1989 friedliche Unabhängigkeitsdemonstranten von sowjetischen Truppen getötet wurden, steht in der Nähe des Parlaments. Es ist schlicht und unsentimental: ein niedriger, schwarzer Stein, in den Namen und Datum eingraviert sind. Blumen werden dort ohne großes Aufsehen niedergelegt. Es ist keine Touristenattraktion, sondern eine bürgerliche Achse.

Tiflis Beziehung zur Erinnerung ist geprägt von Anhäufung, nicht von Pflege. Die Vergangenheit ist nicht verpackt. Sie koexistiert mit der Gegenwart – oft unbeholfen, manchmal unsichtbar, aber immer beharrlich. Man kauft Tomaten neben den Ruinen einer armenischen Kirche. Man stöbert nach Büchern auf einem Platz, der nach einem General benannt ist, der die Seiten gewechselt hat. Man parkt sein Auto in der Nähe des Fundaments einer Festung. Die Stadt verlangt nicht, dass man diese Kreuzungen wahrnimmt. Doch wenn man es tut, vertieft sich das Erlebnis.

Märkte und Denkmäler sind hier keine Gegensätze. Sie bewegen sich im selben Kontinuum. Beiden geht es um Bewahrung – nicht in Bernstein, sondern in der Nutzung. Objekte, Räume und Geschichten zirkulieren nicht isoliert, sondern in Beziehung zueinander. In Tiflis ist Erinnerung kein Besitz. Sie ist eine öffentliche Transaktion.

Weinberge, Keller und das Kontinuum georgianischer Gastfreundschaft

In Georgien ist Wein kein Produkt. Er ist eine Tradition. Ein Erbe, das in Ton, Gesten, Ritualen und im Rhythmus der Tischgespräche weitergetragen wird. Tiflis, obwohl selbst keine Weinbauregion, ist untrennbar mit diesem Kontinuum verbunden. Die Hauptstadt absorbiert, spiegelt und verbreitet die alten Weinbautraditionen des Landes – geprägt nicht von Neuheiten oder Markttrends, sondern von einer Erinnerung, die so tief ist wie das Land selbst.

Archäologische Funde belegen, dass der Weinbau in Georgien mindestens 8.000 Jahre alt ist. Damit zählt Georgien zu den ältesten bekannten Weinbaukulturen der Welt. Das ist kein akademisches Trivialwissen, sondern nationales Selbstverständnis. Der Qvevri, ein großes, im Boden vergrabenes Tongefäß zur Gärung und Reifung von Wein, spielt eine zentrale Rolle in dieser Tradition. Seine Form, Funktion und spirituelle Bedeutung sind seit der Jungsteinzeit nahezu unverändert geblieben. Der Prozess ist im wahrsten Sinne des Wortes organisch: Traubensaft, Schalen, Stiele und Kerne gären mehrere Monate lang gemeinsam im Qvevri, bevor sie geklärt werden. Was dabei herauskommt, ist nicht nur Wein, sondern ein physischer Ausdruck des Bodens, der ihn hervorgebracht hat.

In Tiflis manifestiert sich diese Verbundenheit zur Erde an zeremoniellen und privaten Orten. Weinbars und Weinkeller sind in den älteren Vierteln verstreut – manche eigens errichtet, andere in ehemaligen Ställen, Kellern oder ungenutzten Lagerräumen untergebracht. In Sololaki und Avlabari kann man Steintreppen hinabsteigen und in kerzenbeleuchtete Gewölbe steigen, deren Wände noch immer die Kühle der Jahrhunderte ausstrahlen. Dies sind keine anonymen Lokale. Sie tragen Namen – von Familien, Dörfern, Rebsorten – und oft die Handschrift ein oder zweier Personen, die jede Phase vom Keltern bis zum Ausschenken überwachen.

Das Gvino Underground in der Nähe des Freiheitsplatzes gilt als die erste Naturweinbar der Stadt. Es ist bis heute ein Wahrzeichen: niedrige Bögen, mit Qvevri-Farben bemalte Böden, Regale voller ungefilterter Flaschen aus ganz Georgien, jede mit einer eigenen Geschichte. Die Mitarbeiter sprechen nicht über Weinqualität oder -gehalt, sondern über Klima, Höhe und Ernte. Viele sind selbst Winzer. Hier herrscht wenig Anspruch, nur die Hingabe zum Wein als Geschichte. Gästen wird beispielsweise ein Kisi aus Kachetien angeboten, ein bernsteinfarbener Wein mit fast schon herbem Tannin, oder ein delikater Chinuri aus Kartli – jedes Glas wird mit dem stillschweigenden Verständnis eingeschenkt, dass der Trinkende nun Teil seines Lebensweges ist.

Die Vielfalt der in Georgien angebauten Rebsorten ist überwältigend. Es gibt mehr als 500 endemische Sorten, von denen rund 40 noch aktiv angebaut werden. Saperavi, tiefgründig und kräftig, bildet die Grundlage vieler Rotweine. Rkatsiteli, vielseitig und ausdrucksstark, bildet die Grundlage unzähliger Bernstein- und Weißweine. Weniger bekannte Rebsorten wie Tavkveri, Shavkapito und Tsolikouri verleihen dem Wein einen regionaleren Charakter, der oft an spezifische Mikroklimata und traditionelle Praktiken gebunden ist.

Was die georgische Weinkultur von ihren europäischen Pendants unterscheidet, ist nicht nur die Traube, sondern der Rahmen ihres Genusses. Die Supra, ein ritualisiertes Festmahl, ist nach wie vor der zentrale Rahmen für die gesellschaftliche Rolle des Weines. Angeleitet von einem Tamada – einem Redner mit ausgeprägtem rhetorischen Geschick – erstreckt sich die Supra über mehrere Stunden und ist durch eine Reihe von Trinksprüchen strukturiert: auf den Frieden, auf die Vorfahren, auf die Gegenwart und auf die Toten. Der Wein wird nie hastig oder isoliert getrunken. Jeder Trinkspruch ist ein Moment der Rede und jeder Schluck eine Geste gemeinsamer Absicht.

Zu Hause kann die Supra improvisiert oder aufwendig sein. In Restaurants wird sie oft zu Feierlichkeiten bestellt – Hochzeiten, Familientreffen, Gedenkfeiern. In beiden Fällen verbindet der Wein die Teilnehmer, nicht als Unterhaltung, sondern als Anrufung. Der Tamada ist nicht nur Gastgeber, sondern Gefäß der gemeinsamen Erinnerung und improvisiert mit jedem Toast Poesie und Philosophie. Ein guter Tamada trinkt nicht zuerst, sondern zuletzt. Er wartet, bis der letzte Gast sein Glas erhoben hat, und sorgt so dafür, dass die gemeinsame Konzentration erhalten bleibt.

Mehrere Restaurants in Tiflis möchten dieses Erlebnis für ihre Gäste bewahren. In ethnografischen Restaurants wie Salobie Bia oder Shavi Lomi werden Gerichte nicht nur mit Wein, sondern auch mit regionaler Identität kombiniert. Bohnen aus Ratscha, geräuchertes Schweinefleisch aus Samegrelo, Maisbrot aus Guria – alles serviert in Lehm- oder Holzräumen, in Räumen, die an Bauernhäuser oder städtische Salons erinnern. Wein ist hier Ergänzung und Anker zugleich. Die Mitarbeiter sind oft darin geschult, die Rebsorten sorgfältig zu erklären und auf die Unterschiede zwischen im Qvevri gereiften Bernsteinweinen und ihren neueren Pendants im europäischen Stil hinzuweisen.

Mancherorts findet die Weinproduktion direkt vor Ort statt. In und um Tiflis sind urbane Weingüter entstanden – kleine, oft familiengeführte Betriebe, die außerhalb der Stadt Trauben anbauen und in umgebauten Garagen, Schuppen oder Kellern gären lassen. In diesen Räumen verschwimmen oft die Grenzen zwischen Produktion und Darbietung. Gästen wird vielleicht eine Weinprobe angeboten, während sie neben einem Gärbottich stehen. Ein Cousin kommt vielleicht aus dem Hinterzimmer, um ein Volkslied zu singen. Brot wird vielleicht spontan gebrochen, Käse ohne Zeremonie geschnitten.

Jenseits dieser kuratierten Räume fungiert Wein weiterhin als Ausdruck der Gastfreundschaft. Ein Gast – insbesondere in älteren Wohngegenden – wird in der Regel noch immer ohne Umschweife Wein angeboten. Die Flasche ist möglicherweise unbeschriftet, stammt aus einem Plastikkrug, ist bernsteinfarben und leicht trüb. Das ist kein Makel, sondern ein Zeichen von Vertrautheit. Der Wein ist hausgemacht, oft von Verwandten während der Erntezeit gepresst und wird nicht als Vorrat, sondern als Kontinuität geteilt. Ablehnen ist nicht unhöflich, aber es markiert einen als Außenseiter. Annehmen bedeutet, dem Kreis beizutreten, wenn auch nur kurz.

Wer diesen tieferen Rhythmus verstehen möchte, findet in Tiflis Nähe zu Kachetien – der bedeutendsten Weinregion des Landes – weitere Einblicke. Tagesausflüge und mehrtägige Exkursionen in Dörfer wie Signagi, Telawi oder Kwareli bieten die Möglichkeit, Weinberge zu besichtigen und Kvevri-Workshops zu besuchen. Doch erst in Tiflis trifft sich das Mosaik dieser Traditionen. Hier trinkt man Saperawi in einer ehemaligen Galeriewohnung aus der Sowjetzeit oder teilt Rkatsiteli mit Fremden auf einem Dach, wo Weinreben über rostige Metallgitter ranken.

Wein ist in Tiflis kein Genussmittel. Er ist eine Lebensart. Er verbindet Landwirtschaft mit Kosmologie, Geschmack mit Zeit, Land mit Sprache. Ob gefiltert oder roh, abgefüllt oder aus einer wiederverwendeten Limonadenflasche dekantiert, trägt er die Last der Generationen in sich, die ihn angebaut, gekeltert, eingeschenkt und sich erinnert haben.

Kante und Ausdruck – Nachtleben, Subkultur und die Stadt nach Einbruch der Dunkelheit

Wenn das Tageslicht über Tiflis unebene Skyline schwindet, verschwimmen die Konturen der Stadt nicht, sondern verändern sich. Die architektonischen Motive – Balkone, Kuppeln, Türme – weichen hinterleuchteten Silhouetten, während das Summen des Tagesverkehrs einem lockereren, synkopierteren Rhythmus weicht. In den Stunden nach Einbruch der Dunkelheit wird Tiflis nicht langsamer. Es wechselt die Tonlage. Die Nacht ist hier weniger eine Flucht vor dem Tag als vielmehr eine Fortsetzung seiner unvollendeten Gedanken – seiner Auseinandersetzungen, seiner Exzesse, seiner Sehnsüchte.

Das Nachtleben in Tiflis ist von Improvisation geprägt. Es wird weniger durch Stadtteile oder Bezeichnungen als vielmehr durch Netzwerke geprägt: von Künstlern, Musikern, Studierenden und Expatriates, die sich zwischen bekannten und wechselnden Orten bewegen. Die After-Hour-Kultur der Stadt ist durchlässig, informell, zutiefst sozial – und spiegelt zunehmend die Spannungen und Potenziale wider, die die postsowjetische, postpandemische und immer noch zerrissene georgische Gegenwart prägen.

Das prominenteste Symbol für Tiflis nächtliche Identität ist und bleibt Bassiani, ein Techno-Club in den Betoneingeweiden der Dinamo Arena, dem größten Sportstadion der Stadt. Es ist ein ungewöhnlicher Ort – ein stillgelegtes Schwimmbad, das in eine riesige Tanzfläche umgewandelt wurde –, aber er verkörpert perfekt die kreative Logik der Stadt. Bassiani ist mehr als ein Veranstaltungsort. Seit seiner Gründung 2014 hat es sich zu einer kulturellen Institution, einem Ort des Widerstands, einem Klanglabor und für viele zu einem Zufluchtsort entwickelt.

Der Club erlangte internationale Bekanntheit durch seine kuratorische Strenge – er buchte führende Persönlichkeiten der globalen elektronischen Musik und förderte gleichzeitig mit gleicher Ernsthaftigkeit lokale Talente. Die Musik ist anspruchsvoll, oft düster, unkommerziell und in ihrer Gestaltung explizit politisch. Der Zutritt ist selektiv, aber nicht unbedingt exklusiv: Ziel ist es, die Atmosphäre zu schützen, nicht Elitismus zu erzwingen. Handys sind nicht erwünscht. Fotografieren ist verboten. Drinnen entsteht eine Art kollektive Katharsis, kuratiert durch Licht, Klang und Bewegung.

2018 wurden Bassiani und Café Gallery, ein weiterer Club mit einer queer-orientierten Tanzfläche, von schwer bewaffneten Polizisten gestürmt. Dies löste Massenproteste aus. Die Proteste fanden vor dem Parlament in der Rustaweli-Allee statt und nahmen die Form einer Open-Air-Rave an – Tausende tanzten trotz staatlicher Repression und forderten ihr Recht auf Versammlung, Bewegung und Existenz. Dieser Vorfall festigte den Stellenwert der Clubs in Georgiens politischer Vorstellungswelt. Er verdeutlichte zugleich die fragile Grundlage solcher Orte.

Andere Veranstaltungsorte spiegeln dieses Ethos in unterschiedlichem Maßstab wider. Mtkvarze, untergebracht in einem Gebäude aus der Sowjetzeit am Fluss, bietet mehrere Räume und Stimmungen und kombiniert Techno mit experimentellen Genres und visuellen Installationen. Khidi, unter der Wachuschti-Bagrationi-Brücke gelegen, setzt auf brutalistische Ästhetik und ein ähnlich strenges Programm. Fabrika hingegen ist ein zugänglicherer Treffpunkt: eine umgebaute sowjetische Nähfabrik, die heute Bars, Galerien, Co-Working-Spaces und ein Hostel beherbergt und so eine Art halb-kommunales Wohnzimmer für junge Kreative, Touristen und Unternehmer bildet. Der Innenhof ist gesäumt von Graffiti, Cafés und Hockern aus Betonblöcken und Industrieabfällen – eine bewusste Ästhetik der Wiederverwendung und Informalität.

Doch Tiflis Nachtleben beschränkt sich nicht nur auf Clubs. Cafés, Hinterzimmerkneipen und Underground-Lokale prägen die fragmentierte subkulturelle Landschaft der Stadt. In Sololaki werden umgebaute Wohnungen zu Salons umfunktioniert, in denen vor kleinem Publikum Spoken Word, experimenteller Jazz oder Filmvorführungen stattfinden. Diese Treffen sind oft nur auf Einladung und über private Netzwerke möglich, bleiben aber für den kulturellen Austausch der Stadt unverzichtbar.

Die Barszene ist vielfältig und dezentralisiert. Diese Lokale ähneln einer Spelunke, sind aber oft überraschend kuratiert und überzeugen mit minimaler Beschilderung und maximalem Charakter. Vino Underground, Amra, 41° Art of Drink und Café Linville verkörpern jeweils eine andere Sensibilität – weinbezogen, literarisch, regional, retro. Die Getränke sind selten standardisiert. Die Speisekarten sind oft handgeschrieben. Musik kommt von einer Schallplatte oder einem geliehenen Lautsprecher. Diese Orte sind nicht auf Größe ausgelegt, sondern auf Resonanz.

Die queere Szene ist zwar immer noch durch gesellschaftlichen Konservatismus und gelegentliche Polizeieingriffe eingeschränkt, bleibt aber trotzig sichtbar. Das Café Gallery, obwohl mehrfach geschlossen und wiedereröffnet, ist weiterhin einer der wenigen offen queeren Orte der Stadt. Die regelmäßig im Bassiani stattfindenden Horoom Nights dienen als speziell LGBTQ+-bejahende Veranstaltung. Der Zugang zu diesen Szenen wird behutsam geregelt; Sicherheit und Diskretion sind nach wie vor zentrale Anliegen. Doch was entsteht, ist nicht marginal – es ist essenziell und Teil des breiteren Ausdrucks von Identität und Dissens in der Stadt.

Das Nachtleben hier hat sich größtenteils eine ausgeprägte DIY-Ästhetik bewahrt. Veranstaltungen werden über Telegram oder Instagram-Storys angekündigt. Die Veranstaltungsorte wechseln. Die Bezahlung erfolgt teilweise nur bar. Die Aufführungen finden in Lagerhallen, verlassenen Fabriken oder unter Autobahnüberführungen statt. Die Infrastruktur ist fragil, aber die Intentionalität ist hoch. Es geht hier nicht um Profit. Sie sind in der Gemeinschaft verankert, in einem gemeinsamen Bedürfnis nach Ausdruck und Gemeinschaft inmitten wirtschaftlicher Instabilität und politischer Unsicherheit.

Außerhalb der subkulturellen Enklaven findet das Mainstream-Nachtleben weiterhin statt: Shisha-Lounges mit LED-Beleuchtung, Dachbars mit Panoramablick und Premium-Preisen, Restaurants, die sich im Laufe der Nacht in Tanzflächen verwandeln. Diese Orte richten sich oft an ein anderes Publikum – wohlhabendere Einheimische, Touristen, Auswanderer – und imitieren globale Trends mit georgischem Touch: Chinkali mit Mojitos, Techno gefolgt von Pop-Remixen, Tiflis als marktfähiges „Erlebnis“. Sie sind weder falsch noch unecht. Sie bedienen eine Nachfrage. Aber sie definieren nicht die Nacht.

Das Straßenleben dauert, besonders im Sommer, bis weit nach Mitternacht. Auf der Rustaweli-Allee wimmelt es von Studenten und jungen Paaren. Auf der Trockenen Brücke wimmelt es von Nachtverkäufern und spontan auftretenden Musikern. Skateboarder flitzen über den Orbeliani-Platz. Gruppen versammeln sich am Flussufer, teilen sich Weinflaschen in Plastikbechern und summen alte Lieder in sich überschneidenden Harmonien. Es gibt keine erzwungene Sperrung. Die Stadt kommt allmählich zur Ruhe und beginnt dann von vorne.

Die Nacht in Tiflis ist Entspannung und Besinnung zugleich. Hier lockert sich die Kontrolle, hier erweitern sich Grenzen. Es ist keine Zeit fernab der tieferen Wahrheiten der Stadt – hier kommen diese Wahrheiten am freisten zum Vorschein: Improvisation, Intimität, Instabilität und Freude. Und wenn die Sonne zurückkehrt, bleiben nur noch Bruchstücke der Beweise zurück – volle Aschenbecher, Fußabdrücke im Staub, vom Singen heisere Stimmen.

Tiflis bei Nacht macht keine Werbung. Es geschieht einfach. Wiederholt. Widerwillig. Ohne Drehbuch. Und wer sich offen hineinbegibt, seinen Rhythmen folgt, ohne Anweisungen zu verlangen, findet vielleicht keine Flucht, sondern Begegnung.

Zwischen Ruine und Erneuerung – Gentrifizierung, Bautätigkeit und die Stadt im Wandel

Tiflis in seiner heutigen Form befindet sich irgendwo zwischen Fundament und Fassade. Die Stadt wird weder schlagartig neu gestaltet noch dem Verfall preisgegeben. Vielmehr durchläuft sie eine langsame und ungleichmäßige Metamorphose – eine Architektur der Spannung, in der Gerüst und Stille nebeneinander existieren. Jeder Bezirk weist Spuren des Übergangs auf: ein frisch verglastes Fenster über einem bröckelnden Türrahmen, ein Boutique-Hotel neben einer ausgebrannten Ruine, ein Wandgemälde, das über einer zum Abriss vorgesehenen Mauer erblüht.

Diese Stadt wird nicht einfach nur gentrifiziert. Gentrifizierung folgt einem klaren Muster: von Vernachlässigung zu Investitionen, von der Arbeiterklasse zur Mittelschicht. Tiflis Transformation verläuft sprunghafter. Sie verläuft ruckartig und wird ebenso von spekulativem Ehrgeiz wie von ästhetischem Instinkt oder städtischer Gleichgültigkeit geprägt. Das Ergebnis ist eine physische und psychische Landschaft, in der sich der Wandel unvermeidlich und ungelöst anfühlt.

In Sololaki und der Altstadt von Tiflis sind die Anzeichen am deutlichsten. Gebäude, die einst von mehreren Familien gemeinsam genutzt wurden – Überbleibsel sowjetischer Gemeinschaftswohnungen – werden nun aufgeteilt, renoviert oder umgestaltet. Wo einst Blechhütten waren, entstehen Dachterrassen. Die Innenräume werden mit Sichtmauerwerk und minimalistischem Dekor neu gestaltet und als „authentisch“ vermarktet, doch der Improvisationen, die sie einst auszeichneten, sind verschwunden. Diese Viertel, reich an Architektur aus dem 19. Jahrhundert, sind für Bauträger attraktiv geworden, die den Markt für Kulturtourismus ansprechen wollen: Hotels mit Vintage-Schriften und kuratierter Unvollkommenheit, Restaurants mit viersprachigen Speisekarten und Samowaren an den Wänden.

Doch die Sanierung bleibt größtenteils oberflächlich. Die Fassaden werden gereinigt und saniert, während grundlegende Mängel – undichte Rohre, defekte Leitungen, verrottende Holzbalken – unbehandelt bleiben. Manche Gebäude werden gekauft und dem Verfall überlassen, als Kapitalanlage von abwesenden Eigentümern. Andere werden durch stillen Druck, steigende Mieten oder schlichte rechtliche Verschleierung ihrer Mieter beraubt. Bewohner, die seit Generationen in denselben Wohnungen leben, werden zunehmend marginalisiert – nicht per Dekret, sondern durch wirtschaftliche Abwanderung.

Parallel zu dieser stillen Verdrängung vollzieht sich eine lautere Expansion: der Aufstieg luxuriöser Wohntürme und geschlossener Wohnanlagen, insbesondere in Saburtalo, Vake und den östlichen Außenbezirken der Stadt. Diese oft 15 bis 30 Stockwerke hohen Gebäude tauchen plötzlich auf – in Eile und ohne schlüssige Stadtplanung errichtet. Viele verstoßen gegen die Bauvorschriften, überschreiten die zulässige Höhe oder greifen in Grünflächen ein. Einige entstehen auf Grundstücken, die unter undurchsichtigen Bedingungen erworben wurden. Nur wenige bieten öffentliche Einrichtungen. Ihre Fassaden sind mit Spiegelglas oder modularem Stein verkleidet und tragen Namen wie „Tbilisi Gardens“ oder „Axis Towers“ – ehrgeizige, ortsfremde Namen.

Die Baustellen sind allgegenwärtig: Betonmischfahrzeuge parken quer über den Gehwegen, Bewehrungsstäbe ragen aus unfertigen Böden, Banner versprechen „europäische Qualität“ oder „Leben in der Zukunft“. Kräne kreisen über Vierteln, deren Infrastruktur – Kanalisation, Straßen, Schulen – weit hinter der Bevölkerungsdichte zurückbleibt, die diese Hochhäuser vermuten lassen. Der Bauboom wird durch Überweisungen, Spekulationskäufe und einen Zustrom ausländischer Investitionen angetrieben, insbesondere aus Russland, dem Iran und zunehmend auch von digitalen Nomaden, die kurzfristige Aufenthalte suchen.

Für viele Tifliser sind diese Veränderungen verwirrend. Die Stadt, in der sie leben, wird unübersichtlicher, weniger vertraut. Orte, die mit Erinnerungen verbunden sind – Kinos, Bäckereien, Hinterhöfe – verschwinden plötzlich und werden durch Caféketten oder beigefarbene Fassaden ersetzt. Der öffentliche Raum schrumpft. Sichtlinien verschwinden. Von manchen Fenstern aus sind die Hügel nicht mehr zu sehen. Der Mtkwari, einst gesäumt von Steinböschungen und Holzhäusern, wird zunehmend von Neubaugebieten gesäumt, von denen einige ohne Flusszugang oder Fußweg errichtet wurden.

Die Regierungspolitik bietet kaum kohärente Leitlinien. Stadtentwicklungsstrategien werden selten vollständig veröffentlicht; öffentliche Konsultationen finden nur begrenzt oder nur oberflächlich statt. Aktivisten und Architekten haben ihre Bedenken geäußert, insbesondere hinsichtlich der Umweltzerstörung und des kulturellen Verlusts. Das umstrittene Projekt Panorama Tbilisi – ein ambitionierter Luxuskomplex nahe dem historischen Bergrücken oberhalb von Sololaki – löste aufgrund seiner optischen und ökologischen Auswirkungen Proteste aus. Kritiker argumentieren, solche Entwicklungen würden nicht nur den historischen Charakter der Stadt verfälschen, sondern auch die organische Integration der Architektur Tiflis in die Topografie beeinträchtigen.

Die Grünflächen der Stadt sind besonders gefährdet. Parks werden durch Parkplätze oder „Verschönerungsmaßnahmen“ beeinträchtigt, die die Artenvielfalt zugunsten einer einheitlichen Landschaftsgestaltung auslöschen. Bäume werden ohne Genehmigung entfernt. Wege am Hang werden asphaltiert. In manchen Fällen werden historische Bäume über Nacht gefällt, deren Fehlen erst im Nachhinein erklärt wird. Der Botanische Garten hat Teile seiner Peripherie durch angrenzende Bauten verloren. Der Vake Park, lange ein Zufluchtsort vor der dichten Stadt, ist durch neue Straßen und Bebauungen an seiner Grenze gefährdet.

Doch inmitten all dessen halten sich alternative Stimmen hartnäckig. Unabhängige Architekten, Künstler und Stadtplaner dokumentieren die schlimmsten Formen der Auslöschung und wehren sich gegen sie. Digitale Archive gefährdeter Gebäude kursieren in den sozialen Medien. Graffiti-Künstler kleben Mahnungen auf die Wände von Neubauten: „Das war mal ein Zuhause.“ Temporäre Kunstinterventionen nutzen verlassene Gebäude vor dem Abriss um. Kleine Kollektive organisieren Stadtführungen, öffentliche Lesungen oder Erinnerungsprojekte, um alternative Raumnarrative zu schaffen.

Nicht alle Veränderungen sind rein extraktiv. Manche Renovierungen werden mit Sorgfalt durchgeführt, Innenhöfe erhalten, geschnitzte Holzbalkone restauriert und Denkmalexperten hinzugezogen. Aus Industrieruinen sind neue Kulturzentren entstanden. Der Fabrika-Komplex hat trotz seiner kommerziellen Ausrichtung ein durchlässiges Gemeinschaftsgefühl bewahrt. Ehemalige Fabriken in Didube und Nadzaladevi beherbergen heute Kunstateliers, Proberäume und Literaturgruppen. Einige Bauträger haben sich mit lokalen Historikern zusammengetan, um Straßen und Projekte nach Persönlichkeiten der georgischen Kultur zu benennen, anstatt nach allgemeinen Internationalismen.

Dennoch ist der allgemeine Trend zur Fragmentierung. Es gibt keine einheitliche Vision für Tiflis Zukunft. Stattdessen steht die Stadt an einem Scheideweg, an dem konkurrierende Kräfte – Erbe und Kapital, Erinnerung und Nutzen, Regulierung und Improvisation – unzusammenhängend aufeinanderprallen. Das Ergebnis ist eine Art urbanes Palimpsest: Schichten, die geschrieben und überschrieben, nie ganz gelöscht werden.

Wer heute durch Tiflis spaziert, erlebt eine Stadt im ideologischen Wandel. Sie ist weder in der Geschichte erstarrt noch einer schlüssigen Zukunft verpflichtet. Stattdessen bietet sie Einblicke: in das, was bleibt, in das, was hätte sein können, und in das, was zu schnell kommt, um es vollständig zu begreifen. Die Schönheit der Stadt liegt nicht in ihrer Perfektion, sondern in ihrer Weigerung, sich niederzulassen. Sie ist ein Ort, der hartnäckig und unbehaglich unvollendet bleibt.

An der Schwelle – Sprache, Identität und der Rand Europas

Tiflis, wie auch das Land, das es verankert, lässt sich nicht eindeutig in die kontinentale Gegensätzlichkeit einfügen. Es ist weder rein europäisch noch rein asiatisch, weder streng orthodox noch streng säkular, weder kolonial noch im herkömmlichen Sinne kolonisiert. Vielmehr nimmt es eine Randlage ein, die nicht peripher, sondern prägend ist – eine Kante, die Identität ebenso prägt wie destabilisiert. Dies ist kein Ort der Synthese, sondern der Gleichzeitigkeit.

Die Sprache ist vielleicht der unmittelbarste Ausdruck dieser vielschichtigen Identität. Georgisch, mit seinem einzigartigen Alphabet und seinen kartwelischen Wurzeln, wird mit tiefer Verbundenheit gesprochen. Es ist eine Sprache von tiefer innerer Konsistenz, aber äußerer Einzigartigkeit – nicht-indoeuropäisch, nicht verwandt mit Russisch, Türkisch oder Persisch, entwickelte und bewahrte sich über Jahrhunderte nahezu isoliert. Ihre Schrift, Mkhedruli, erscheint auf Schaufenstern, Speisekarten und öffentlichen Bekanntmachungen – eine geschwungene Kaskade, die den meisten Besuchern verborgen bleibt, aber dennoch allgegenwärtig ist. Die Buchstaben sind schön, aber widerständig. Verständnis kommt nicht schnell, sondern durch anhaltende Nähe.

Georgisch ist mehr als ein Kommunikationsmittel – es ist eine kulturelle Haltung. Es fließend, ja sogar stockend zu sprechen, bedeutet, eine neue Ebene sozialer Intimität zu erreichen. Es zu ignorieren oder seine Ähnlichkeit mit Russisch oder Armenisch zu vermuten, bedeutet, die geopolitischen und historischen Spannungen der Stadt zu missverstehen. Sprache ist hier nicht neutral. Sie wurde aufgezwungen, unterdrückt, wiederbelebt, politisiert.

Russisch ist nach wie vor weit verbreitet, insbesondere unter älteren Generationen, und seine Präsenz ist kompliziert. Für manche ist es die notwendige Lingua Franca, die auf Märkten, in der Bürokratie und in der grenzüberschreitenden Kommunikation verwendet wird. Für andere ist es eine schmerzliche Erinnerung an die Besatzung – erst die kaiserliche, dann die sowjetische. Der jüngste Zustrom russischer Auswanderer, die nach dem Einmarsch in die Ukraine vor Wehrpflicht oder Zensur flohen, hat diese Empfindlichkeiten neu entfacht. Plakate mit der Aufschrift „Russische Deserteure, geht nach Hause!“ sind in Treppenhäusern und Cafés aufgetaucht. Graffiti in beiden Sprachen betonen und tadeln zugleich ihre Präsenz. Und doch leben Georgisch und Russisch in vielen Vierteln im Alltag mit unbehaglichem Pragmatismus nebeneinander.

Englisch hingegen ist die Sprache der Hoffnungen und der Jugend. Es ist die Sprache von Tech-Startups, NGOs, angesagten Cafés und Universitäten. Seine Sprachkompetenz ist oft ein Zeichen des sozioökonomischen Status. Jüngere Tifliser, insbesondere in den zentralen Bezirken der Hauptstadt, sprechen zunehmend Georgisch und Englisch und bilden eine sprachliche Klasse, die sich sowohl von ihren in der Sowjetunion ausgebildeten Älteren als auch von ihren ländlichen Verwandten unterscheidet. Für sie ist Englisch nicht nur ein Werkzeug – es ist ein Horizont.

Mehrsprachigkeit ist in Tiflis nichts Neues. Historisch gesehen war die Stadt eine polyglotte Zone, in der armenische, aserbaidschanische, griechische, persische, kurdische und jüdische Gemeinden zusammenlebten und jeweils zu einem Mosaik der Sprachen beitrugen, die in Höfen, Geschäften und Liturgien gesprochen wurden. Diese Vielfalt hat sich zwar verringert, doch ihre Spuren bleiben erhalten. Ortsnamen, kulinarische Begriffe, Familiennamen – alles trägt Spuren älterer, pluralistischerer Strukturen.

Die Identität Tiflis ist nicht eindeutig. Sie ist nicht einmal stabil. Sie schwankt zwischen Lokalstolz und regionaler Ambiguität, zwischen tradiertem Gedächtnis und strategischer Neuerfindung. Die Stadt sieht sich zunehmend als europäische Hauptstadt – ausgerichtet auf westliche politische und kulturelle Werte, fortschrittlich in der Sprache, wenn auch nicht immer in der Gesetzgebung. EU-Flaggen wehen neben georgischen auf Regierungsgebäuden. Erasmus-Studenten drängen sich auf den Stufen der Universitäten. EU-finanzierte Stadterneuerungsprojekte prägen die Stadt. Doch eine tatsächliche EU-Mitgliedschaft bleibt unerreichbar, verzögert durch Bürokratie und geopolitische Komplexität. Der Widerspruch ist alltäglich: Die Formen Europas werden übernommen, doch seine Sicherheit und Integration bleiben fern.

Die Tifliser sind jedoch mit solchen Dissonanzen vertraut. Sie verstehen es, Widersprüche zu ertragen, ohne dass sie einer Lösung bedürfen. Stolz auf die georgisch-orthodoxe Tradition schließt eine leidenschaftliche Verteidigung der Pressefreiheit nicht aus. Tiefe Ehrfurcht vor Sprache und Geschichte geht mit scharfer Kritik an staatlicher Übergriffigkeit einher. Ob Protest oder Jubel – die Stadt spricht mit einem pointierten, pluralistischen und oft zutiefst ironischen Ton.

Diese Ironie ist essenziell. Tiflis lebt nicht nur von Aufrichtigkeit. Sein Humor ist trocken, seine Satire scharf, seine Selbstwahrnehmung reflexiv. Politische Karikaturen sind beliebt; theatralische Proteste sind häufig. Öffentliche Äußerungen, insbesondere unter Jugendlichen, sind geprägt von Code-Switching, Insiderwitzen und historischen Anspielungen. Die literarische Tradition der Stadt – von Ilja Tschawtschawadse bis Surab Karumidse – ist von Mehrdeutigkeit geprägt. Sprache wird, wie Identität, nie einseitig verwendet.

Die nationale Identität Georgiens beruht nicht auf Monokultur, sondern auf Überleben. Das Land hat ein Reich nach dem anderen überdauert, jedes absorbiert, ihm widerstanden und überdauert. Sein Alphabet, seine Küche, seine polyphone Musik und seine Festrituale tragen alle das Zeichen der Kontinuität – nicht weil sie unverändert geblieben sind, sondern weil sie sich angepasst haben, ohne sich aufzulösen. Tiflis hält diese Kontinuitäten in sichtbarer Spannung zum Wandel. Es ist eine Stadt, in der mittelalterliche Kirchen und postmoderne Türme meterweit voneinander entfernt stehen; in der sich Straßennamen mit jeder politischen Neuorientierung ändern; in der Erinnerung und Sehnsucht Seite an Seite gehen.

Ethnische Identität in Tiflis bleibt ein heikles Thema. Die Stadt, einst Heimat einer lebendigen armenischen und jüdischen Bevölkerung, spiegelt heute eine homogenere georgische Mehrheit wider. Die Gründe sind vielfältig: Migration, Assimilation, wirtschaftliche Marginalisierung. Überreste – hier eine armenische Kirche, dort eine jüdische Bäckerei – sind noch vorhanden, aber sie spielen für die Demografie der Stadt keine zentrale Rolle mehr. Doch in Momenten der Krise oder der kulturellen Reflexion werden diese vergangenen Präsenzen erinnert, beschworen und manchmal kommerzialisiert. Die Stadt ist nicht immun gegen Nostalgie, gibt sich ihr aber selten voll hin. Die Vergangenheit ist kein Ausweg – sie ist eine Auseinandersetzung.

Georgier in Tiflis zu sein, bedeutet Würde und Unbeständigkeit zugleich. Es bedeutet, die Bedeutung der Gastfreundschaft und die Realität der Grenzen zu kennen. Es bedeutet, Fremde großzügig zu empfangen und am nächsten Tag ihre Motive zu hinterfragen. Es bedeutet, sich selbst zugleich als alt und zukunftsorientiert zu betrachten.

Tiflis Rand ist nicht nur geografisch – er ist existenziell. Es ist der Rand von Imperien, der Rand Europas, der Rand der Gewissheit. Diese Grenzlage ist keine Schwäche. Sie ist produktiv. Daraus erwächst die Improvisationsstärke der Stadt, ihre Anpassungsfähigkeit, ihre besondere Weisheit – eine Weisheit, die Widersprüche nicht aufzulösen sucht, sondern sie mit Klarheit und Humor zu bewohnen sucht.

Tiflis liegt nicht auf dem Weg ins Nirgendwo. Es ist ein Ort für sich. Und seine Identität widersetzt sich, wie seine Sprache, der Verflachung. Es spricht in Kurven, in Konsonanten, in Trinksprüchen, Liedern und geflüsterten Verhandlungen. Es verlangt nicht, schnell verstanden zu werden. Es verlangt, dass man bei ihm bleibt.

Die Form des täglichen Lebens: Essen, Familie und die häusliche Architektur der Zeit

In Tiflis ist der Alltag nicht durch Zeitpläne oder Systeme strukturiert, sondern durch eine Choreografie lockerer Rhythmen: das morgendliche Treiben auf Märkten und Herden, die mittägliche Ruhe, die sich in Innenhöfe und Cafés einschleicht, die späten Abendessen, die sich mit Gesprächen und Wein bis Mitternacht hinziehen. Hier ist Zeit relational. Sie dehnt und verdichtet sich, je nachdem, wer zusammenkommt, was zubereitet wird oder wie das Wetter die Stimmung in der Stadt beeinflusst hat.

Das häusliche Leben in Tiflis ist zutiefst taktil. Es beginnt an der Türschwelle, oft mit dem Knarren einer alten Treppe, dem Klopfen des Stocks des Nachbarn auf den Fliesen, dem vermischten Geruch von Bohnerwachs, Zigarettenrauch und dem mehrere Stockwerke tiefer gebackenen Brot. In den älteren Vierteln der Stadt – Sololaki, Mtatsminda, Chugureti – werden Wohnhäuser aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert noch immer von mehreren Generationen bewohnt. Die Innenräume sind geprägt von Familiengeschichte: Kristallvitrinen, handgewebte Teppiche, verblasste Fotos über Lichtschaltern, Fernseher, die über dampfenden Töpfen mit Lobio oder Tschachochbili murmeln. Räume werden geteilt, selten segmentiert. Balkone dienen je nach Jahreszeit als Vorratskammern, Werkstätten, Gewächshäuser oder Esszimmer.

Essen prägt vor allem den Tagesablauf. Die georgische Küche ist weder schnell noch einsam. Sie erfordert Zeit, Fingerspitzengefühl und Mitarbeit. Teig muss geknetet, ruhen gelassen und gefaltet werden. Käse muss gezogen, gesalzen und gereift werden. Bohnen müssen eingeweicht, geköchelt, zerstampft und gewürzt werden. Kochen ist nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern eine Form sozialer Kontinuität. Rezepte lernt man durch Zuschauen und Nachmachen – händisch und püriert, nicht in Maßbechern.

Jede Mahlzeit, auch die informelle, bewahrt zeremonielle Elemente. Brot ist unverzichtbar – meist Puri, gebacken in in den Boden eingelassenen Tonöfen, deren Wände glühend heiß sind. Händler ziehen die Laibe mit hakenförmigen Stangen heraus, deren Kruste blasig und goldbraun ist. Chatschapuri, mit Käse gefüllt und entweder bootförmig oder rund, wird sowohl als Mahlzeit als auch als Beilage serviert. Die imeretische Variante ist flach und kompakt; die adjarische reichhaltig, mit einem rohen Ei, eingebettet in geschmolzenen Käse und Butter. Chinkali, die handgedrehten Teigtaschen gefüllt mit gewürztem Fleisch oder Pilzen, werden mit bewusster Unordnung gegessen – vorsichtig hineingebissen, um die Brühe nicht zu verschütten, niemals mit dem Messer geschnitten.

Diese Speisen werden nicht für einzelne Portionen zubereitet. Sie sind zum Teilen gedacht, verteilt auf einem Tisch, in Gesellschaft. Der Tisch selbst – hölzern, oft überdimensioniert, umringt von ungleichen Stühlen – wird zum Mittelpunkt des häuslichen Lebens. Die Mahlzeiten ziehen sich in die Länge, unterbrochen von Trinksprüchen, Geschichten und Telefonaten. Kinder kommen und gehen. Ältere Verwandte kommentieren die Würze. Wein wird eingeschenkt und nachgeschenkt, selbst für diejenigen, die nicht wollen.

Diese Mahlzeiten haben einen Rhythmus, der sich der Eile widersetzt. Man schnappt sich nicht einfach einen Happen. Man isst als Akt der Anwesenheit. In manchen Haushalten besteht das Frühstück vielleicht nur aus einem bescheidenen Aufstrich – Brot, Käse, Eier, Marmelade –, aber das Mittagessen ist reichhaltig, und das Abendessen, besonders wenn Gäste dabei sind, kann ans Epische grenzen. Selbst Wochenabende können sich in die Länge ziehen, besonders im Sommer, wenn die Hitze bis nach Sonnenuntergang anhält und die Balkone zu städtischen Speisesälen unter freiem Himmel werden.

Jenseits des heimischen Tisches durchdringt Essen das städtische Gefüge. Kleine Bäckereien prägen jedes Viertel, ihre Fenster sind beschlagen, ihre Regale gefüllt mit warmen Broten. Metzgereien und Käseläden arbeiten auf Vertrauensbasis, ihr Sortiment wird durch das Auge des Verkäufers erklärt, nicht durch Etiketten. Dukanis – kleine, familiengeführte Läden – verkaufen alles von Bohnen bis Batterien. Sie haben oft kein Schild, nur einen Perlenvorhang und den Duft von eingelegtem Gemüse. Jeder von ihnen ist eine Mikroökonomie, oft betrieben von einer einzigen Frau, die Generationen von Kindern aus der Nachbarschaft aufwachsen und wegziehen sah.

Lebensmittelmärkte im Freien erweitern diese Architektur des Alltagslebens. Der Basar am Bahnhofsplatz, Dezertirebi, Ortachala – überall wimmelt es von Essensmaterialien: zu Schnüren gebündelte Kräuter, handgeknackte Walnüsse, Becher mit Tkemali (saure Pflaumensauce) in Grün und Rot, Adjika (scharfe Paste) in Plastikgläsern. Transaktionen erfolgen oft wortlos. Eine Geste, ein Blick, eine gewogene Hand genügen. Diese Märkte zielen nicht auf Bequemlichkeit ab – sie sind eher nach Gewohnheit als nach Logik organisiert –, aber sie bleiben eine lebendige, gelebte Infrastruktur.

Die Familienstruktur bleibt zentral, wenn auch im stillen Wandel. Traditionell bestanden Haushalte aus mehreren Generationen, Großeltern, Kinder und Enkelkinder teilten sich ein Dach. In der Sowjetzeit erweiterten Gemeinschaftswohnungen diese Intimität auch auf nicht miteinander verwandte Familien. Nach der Unabhängigkeit zerbrachen einige dieser Vereinbarungen aufgrund des wirtschaftlichen Drucks, während Auswanderungswellen jüngere Georgier ins Ausland trieben, insbesondere Frauen, die als Pflegekräfte in Italien, Griechenland und Deutschland arbeiteten. Geldüberweisungen sichern den Lebensunterhalt vieler Haushalte, auch wenn Abwesenheiten sie verändern.

In Tiflis spiegeln sich diese ererbten Muster noch heute in vielen Haushalten wider. Großmütter sind oft die Hauptbezugspersonen; Großväter die Bewahrer der Familiengeschichte. Junge Erwachsene leben möglicherweise bis zur Heirat zu Hause oder kehren nach Auslandsaufenthalten zurück. Privatsphäre wird Tag für Tag von Zimmer zu Zimmer ausgehandelt. Streitigkeiten hallen durch gemeinsame Treppenhäuser. Feiern werden in Innenhöfe, auf Veranden und auf die Straße übertragen.

Auch der häusliche Bereich ist geschlechtsspezifisch, wenn auch nicht ganz so einfach. Frauen dominieren die Küche, das Budget und die Pflege. Von Männern wird erwartet, dass sie für den Haushalt sorgen, anstoßen und führen. Doch in der Praxis sind diese Rollen oft vertauscht, verwischt durch wirtschaftliche Notwendigkeiten und Generationswechsel. Die Großmutter kann die zuverlässigste Ernährerin sein. Der Sohn kann kochen, während die Mutter die Familienkasse führt. Diese Anpassungen erfolgen nicht als Erklärungen, sondern als Anpassungen.

Auch Religion ist im häuslichen Bereich verankert. Ikonen in der Küche, kleine Kreuze über Türen, Weihwasser in recycelten Plastikflaschen – die Orthodoxie ist tief im häuslichen Umfeld verwurzelt. Gebete sind nicht unbedingt öffentlich oder performativ; sie sind integriert und gewohnheitsmäßig. Selbst unter Nichtgläubigen gibt es weiterhin rituelle Gesten: das Bekreuzigen beim Vorbeigehen an einer Kirche, das Anzünden einer Kerze für einen verstorbenen Angehörigen oder das Fasten vor einem Feiertag. Der Glaube ist nicht immer sichtbar, aber selten abwesend.

Tiflis Wohnungen sind keine neutralen Orte. Sie tragen die Last der Geschichte – sowjetische Möbel neben IKEA-Lampen, bestickte Bettwäsche unter Laptops, in Sepia verblasste Hochzeitsfotos, Kinderspielzeug neben Erbstücken. Jeder Gegenstand erzählt eine Geschichte, jede Wand ein Flickenteppich aus Absichten und Kompromissen. Renovierungen gehen langsam voran, wenn überhaupt. Ein Zimmer wird vielleicht in einem Jahr neu gestrichen, im nächsten der Bodenbelag erneuert. Undichtigkeiten werden geflickt. Risse werden toleriert. Der Wohnungsbestand der Stadt zeigt, wie seine Bewohner, Abnutzungserscheinungen. Aber er funktioniert, er passt sich an, er hält.

Wer in ein Tifliser Haus eingeladen wird, nimmt das ernst. Es ist keine Geste der Höflichkeit – es ist eine Form der Aufnahme. Es wird erwartet, dass man isst, lange bleibt und offen spricht. Der Gastgeber besteht darauf, zu servieren. Vom Gast wird erwartet, dass er annimmt. Die Grenzen sind weich, aber die Etikette ist streng. Es ist keine Show. Es ist Brauch.

So widersetzt sich das häusliche Leben in Tiflis weiterhin der Kommerzialisierung. Es wird weder für den Tourismus retuschiert noch aus ästhetischen Gründen umgestaltet. Es bleibt in der Notwendigkeit, in der Beziehung, in einer Art eigensinniger Anmut verwurzelt. Das Tempo der Stadt mag sich ändern, ihre Skyline mag wachsen, doch in ihren Häusern bleibt die Zeit kreisförmig: Mahlzeiten wiederholen sich, Geschichten werden nacherzählt, Jahreszeiten werden in Gläsern, Soßen und Liedern vorweggenommen.

Die Stadt als Palimpsest: Sowjetische Spuren und postsowjetische Spannungen

Tiflis ist keine Stadt, die so schnell vergisst. Ihre Strukturen, ihre Texturen, ihre Stille – alles trägt den Stempel von Besatzung und Ideologie. Nirgendwo ist dies deutlicher sichtbar als in den Überresten der sowjetischen Vergangenheit, die nicht als Museumsstücke oder nostalgisches Dekor fortbestehen, sondern als ungelöste Schichten in der architektonischen und psychologischen Landschaft der Stadt. Die Sowjetzeit – siebzig Jahre ideologischer Aufdrängung, ästhetischer Kontrolle und materieller Transformation – ging nicht einfach nur an Tiflis vorbei. Sie veränderte die Stadt. Und sie prägt bis heute, wie Tiflis sich selbst sieht.

Dieser Einfluss ist in der gebauten Umwelt am deutlichsten erkennbar. Von monumental bis banal ist die Architektur der Sowjetzeit unverkennbar. Das Gebäude des Straßenbauministeriums – heute von der Bank von Georgien genutzt – ist vielleicht das markanteste Beispiel. Entworfen in den frühen 1970er-Jahren von den Architekten George Chakhava und Zurab Jalaghania, thront es wie ein Beton-Ausrufezeichen über dem Fluss Kura, seine auskragenden Blöcke sind wie ein brutalistischer Jenga-Turm gestapelt. Es ist kühn und streng zugleich – ein Bauwerk, das gleichermaßen Bewunderung und Skepsis hervorruft. Für manche ist es ein Symbol sowjetischer Innovation, für andere eine fremdartige Aufdrängung der georgischen Landschaft.

Andere sowjetische Relikte werden weniger gefeiert, sind aber allgegenwärtiger. Die U-Bahn-Stationen mit ihren Marmorverkleidungen und der intensiven Beleuchtung bewahren die Ästhetik des spätsozialistischen Optimismus – ordentlich, monumental, zweckmäßig gebaut. Plattenbauten – Chruschtschowkas und Breschnewkas – erstrecken sich über Saburtalo, Gldani und Varketili, ihre Fassaden sind übersät mit Klimaanlagen, Satellitenschüsseln und den Improvisationen privater Reparaturen. Diese Gebäude, einst Symbole der Gleichheit und des Fortschritts, sind heute Orte der Ambivalenz: notwendig, aber veraltet, vertraut, aber ungeliebt.

Denkmäler aus der Sowjetzeit sind noch immer über die ganze Stadt verstreut, obwohl viele entfernt, umbenannt oder stillschweigend ignoriert wurden. Die ehemalige Lenin-Statue, die einst den Freiheitsplatz dominierte, wurde 1991 entfernt. Ihre Abwesenheit wird nur noch durch die Säule markiert, die heute den Heiligen Georg trägt – eine Verschiebung nicht nur in der Ikonographie, sondern auch in der ideologischen Ausrichtung. Kleinere sowjetische Denkmäler finden sich noch immer in Parks und Höfen: Flachreliefs von Arbeitern, Gedenktafeln zum Gedenken an die Opfer des Krieges, Mosaike in Unterführungen und Treppenhäusern. Die meisten bleiben unbeachtet. Einige sind beschmiert. Nur wenige werden gepflegt.

Doch nicht alle sowjetischen Spuren sind sichtbar. Die während der UdSSR durchgesetzten sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen – zentralisiertes Bildungssystem, industrielle Beschäftigung, Geheimpolizei – hinterließen tiefere Spuren. Viele Tifliser wuchsen in diesem System auf, und die daraus entstandenen Gewohnheiten bleiben bestehen. Die bürokratische Sprache bleibt formell und indirekt. Öffentliche Institutionen tragen noch immer die Architektur der Kontrolle: lange Korridore, gestempelte Papiere, Angestellte hinter Glas. Die Kultur der Informalität – der Gefälligkeiten, Umgehungen, Verhandlungen – entwickelte sich als Überlebensstrategie unter sowjetischen Zwängen und hat sich bis in die postsowjetische Gegenwart fortgesetzt.

Der Zusammenbruch der UdSSR 1991 brachte keinen vollständigen Bruch. Er brachte Zersplitterung, Wirtschaftskrise und, im Fall Georgiens, Bürgerkrieg mit sich. Während eines Großteils der 1990er Jahre litt Tiflis unter Stromausfällen, Hyperinflation und dem Zusammenbruch der Infrastruktur. Diese Jahre lassen sich nicht leicht ästhetisieren. Sie bleiben in Erinnerung, durch Gerüche – Petroleumheizungen, Schimmel, nasser Beton – und durch Geräusche: das Stottern der Generatoren, die Abwesenheit von Verkehr. Für viele sind diese Erinnerungen tief in der Seele verankert und unausgesprochen. Sie prägen eine stille Widerstandsfähigkeit, eine pragmatische Skepsis gegenüber staatlichen Versprechen.

Der postsowjetische Wiederaufbau brachte neue Spannungen mit sich. Die Rosenrevolution von 2003 unter Micheil Saakaschwili versprach Modernisierung und die Integration in den Westen. Die Korruption wurde eingedämmt. Die öffentlichen Dienstleistungen verbesserten sich. Straßen wurden gereinigt, Fassaden gestrichen, ausländische Investitionen begrüßt. Doch dieser Aufschwung hatte seinen Preis: Gentrifizierung, Vertreibung und die Ersetzung sowjetischer Mythen durch neoliberale. Glas ersetzte Marmor. Polizeiuniformen änderten sich, doch der tiefere Kontrollapparat blieb bestehen.

Heute lebt Tiflis in einem Spannungsfeld zwischen Ablehnung und Erbe. Sowjetische Gebäude werden zu Cafés und Coworking-Spaces umgebaut. Ehemalige KGB-Büros sind zu Wohnungen geworden. Jugendkollektive legen in verlassenen Fabriken auf. Die materiellen Überreste des Sozialismus werden neu kontextualisiert und neu interpretiert – oft ironisch, manchmal ehrfürchtig, gelegentlich in Unkenntnis ihrer ursprünglichen Funktion.

Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in Kunst und Kultur wider. Filmemacher, Schriftsteller und bildende Künstler erforschen weiterhin die sowjetische Vergangenheit – nicht um sie zu verurteilen oder zu idealisieren, sondern um ihre Spuren zu verstehen. Dokumentarfilme wie „When the Earth Seems to Be Light“ verfolgen Jugendsubkulturen vor dem Hintergrund verfallender Infrastruktur. Installationen in stillgelegten Badehäusern oder Staatsarchiven erforschen Erinnerung, Auslöschung und Zugehörigkeit. Die Literatur bewegt sich zwischen dem Erlebten und dem, was gesagt werden durfte.

Für die jüngere Generation, die nach der Unabhängigkeit geboren, aber in deren Nachwirkungen aufgewachsen ist, ist die sowjetische Vergangenheit zugleich fern und unmittelbar. Sie haben sie nicht direkt erlebt, doch ihre Folgen prägen ihre Gegenwart: von Großeltern geerbte Wohnungen, Rentensysteme nach dem Vorbild veralteter Modelle, Rechtsstrukturen, die noch immer mit der Umsetzung ringen. Die Vergangenheit ist nicht vergangen. Sie ist tief verwurzelt.

Tiflis wirkt auf diese Weise wie ein Palimpsest – eine Stadt, die nicht neu erbaut, sondern im Laufe der Zeit neu geschrieben wurde, wobei jede Schicht unter der nächsten sichtbar ist. Die Sowjetzeit ist eine dieser Schichten: nicht grundlegend, aber unvermeidlich. Sie zu ignorieren, hieße, die Struktur der Stadt falsch zu interpretieren. Sich darauf zu fixieren, hieße, ihre Dynamik zu missverstehen.

Der ehrlichste Ansatz besteht vielleicht darin, sie als Material anzuerkennen: als Beton und Stahl, als Politik und Erinnerung, als Gewohnheit und Verweigerung. Die Vergangenheit ist hier nicht in Denkmälern eingefroren. Sie wird in Aufzügen gelebt, die nicht immer funktionieren, in mit Plastikrohren geflickten Heizungen, in Gesprächen über Vertrauen, Risiko und kollektives Gedächtnis.

Tiflis löst seine Geschichte nicht auf. Es bewahrt sie. Manchmal auf ungeschickte Weise. Oft auf schöne Weise.

Tiflis Vergangenheit, Gegenwart und die Last der Kontinuität

Tiflis strebt nicht nach Zeitlosigkeit. Es verbirgt seine Brüche nicht und täuscht keine Beständigkeit vor. Stattdessen bietet es eine Art Kontinuität, die aus Unterbrechungen entsteht – eine Stadt, die nicht durch Bewahrung, sondern durch Widerstandsfähigkeit erinnert. Ihre Identität beruht nicht auf einer singulären Vision, sondern auf Wiederholung, auf dem geduldigen Wiederauftauchen von Gesten, Materialien und Stimmen über Jahrhunderte des Umbruchs hinweg.

Diese Eigenschaft zeigt sich vielleicht am deutlichsten in der Beziehung der Stadt zur Erinnerung. Nicht Erinnerung als Denkmal, sondern als gelebte Architektur – eine Art der Wiederkehr, der Neuformulierung, der Neugestaltung. In Tiflis ist die Vergangenheit weder gänzlich heilig noch gänzlich überwunden. Sie begegnet uns ständig in Form von Namen, Gewohnheiten, Ruinen und Restaurierungen. Der sowjetische Wohnblock, der mit einer Weinhandlung ausgestattet wurde; die mittelalterliche Kirche, deren Wände mit Graffiti in drei Alphabeten besprüht sind; der Universitätshörsaal, benannt nach einem Dichter, der im Verhör starb. Die Stadt monumentalisiert dieses Erbe nicht. Sie integriert es in den Alltag.

Die Vergangenheit ist nicht fern. Sie ist greifbar. Ein Spaziergang durch die alten Viertel offenbart sie nicht als romantische Fassade, sondern als Beständigkeit: rissiger Stuck, der noch immer den Abdruck dekorativer Schnörkel trägt, Treppen, die sich durch jahrzehntelangen Verkehr verzogen haben, Balkone, die sich unter Generationen von Pflanzen, Wäsche und Menschen gebeugt haben. Dies sind keine ästhetischen Relikte. Sie sind Gerüste – sie halten nicht nur Gebäude aufrecht, sondern auch die Erinnerung an ihren Platz.

Tiflis Kontinuität spiegelt sich auch in den Namen wider. Straßennamen ändern sich mit den politischen Regimen, doch der umgangssprachliche Gebrauch hinkt dem offiziellen Wandel oft hinterher. Die Einwohner bezeichnen Straßen noch immer mit ihren sowjetischen Namen oder nach nicht mehr existierenden Wahrzeichen. Die „Puschkin-Straße“ mag auf einer Karte als „Besiki-Straße“ erscheinen, doch der alte Name bleibt in der Umgangssprache erhalten. Dieses sprachliche Palimpsest signalisiert mehr als nur Nostalgie – es offenbart eine tiefe Skepsis gegenüber aufgezwungener Autorität. Was bleibt, ist, was genutzt wird, nicht, was diktiert wird.

Selbst das institutionelle Gedächtnis spiegelt diese Spannung wider. Archive sind unterfinanziert, werden aber vehement verteidigt. Oral-History-Projekte florieren, nicht durch staatliche Initiative, sondern durch Grassroots-Kollektive. Familien bewahren ihre eigenen Aufzeichnungen – Fotos, Briefe, Geschichten, die nicht zur Veröffentlichung, sondern zur Aufbewahrung weitergegeben werden. Es ist eine Form der privaten Archivierung, die die Fragilität öffentlicher Aufzeichnungen kompensiert.

Bildung spielt in dieser Dynamik eine komplexe Rolle. Schulen lehren die nationale Geschichte mit Stolz, aber auch mit Lücken. Die Sowjetzeit wird zurückhaltend behandelt. Die Konflikte nach der Unabhängigkeit werden oft im Kontext von Resilienz und Opferrolle dargestellt, statt von Komplizenschaft oder Komplexität. Doch Schüler in Tiflis lernen, zwischen den Zeilen zu lesen. Sie wissen, dass offizielle Darstellungen selten die ganze Wahrheit enthalten. Sie hören das Schweigen. Sie fragen ihre Großeltern.

Die Erinnerung lebt auch in öffentlichen Ritualen weiter. Gedenkfeiern zum Massaker vom 9. April, zum Krieg von 2008 oder zum Tod von Surab Schwania – dem unter verdächtigen Umständen tot aufgefundenen reformistischen Premierminister – werden von Menschen besucht, für die diese Ereignisse nicht abstrakt, sondern gelebt sind. Blumen werden niedergelegt. Reden werden gehalten. Doch noch wichtiger: Die Gespräche gehen weiter. In Küchen, Cafés, Hörsälen und an Straßenecken erzählt sich die Stadt wieder ihren eigenen Sinn.

Auch Religion fungiert als Träger der Erinnerung – nicht nur theologisch, sondern auch kulturell und zeitlich. Der Besuch einer Liturgie in der Sioni-Kathedrale oder Sameba ist nicht immer ein Akt strengen Glaubens. Für viele ist er ein Akt der Teilhabe: eine Möglichkeit, eine Tradition zu leben, die vor dem modernen Bruch existierte. Die rituelle Struktur – die Gesänge, die Kerzen, der Weihrauch – bekräftigt eine Kontinuität, die die Politik nicht erreichen kann. Glaube ist hier selten evangelisch. Er ist allgegenwärtig, schützend und tief mit der Idee der Nation verwoben.

Doch diese Kontinuität verläuft nicht reibungslos. Die Moderne, wie sie von westlichen Medien oder lokalen Reformern imaginiert wird, geht oft mit einer Amnesie einher, gegen die sich Tiflis sträubt. Architektonische Sanierungen drohen die tief verwurzelten Geschichten älterer Viertel auszulöschen. Die globalisierte Kultur bietet eine Ästhetik ohne Wurzeln. Politische Rhetorik tendiert zu binärer Klarheit: proeuropäisch oder antiwestlich, nationalistisch oder liberal, Tradition oder Fortschritt. Doch die Stadt lehnt im Alltag solche Binäritäten ab. Sie akzeptiert Widersprüche, ohne in Inkohärenz zu verfallen.

Diese Fähigkeit, Widersprüche zu beherbergen, ist kein Zufall. Sie ist historisch. Tiflis wurde so oft zerstört und wiederaufgebaut, dass sein Überleben nicht auf formaler Kontinuität, sondern auf der Wiederholung des Geistes beruht. Die Stadt war nie makellos. Sie war immer provisorisch. Das ist ihre Genialität. Nicht die Vergangenheit wiederherzustellen, wie sie war, sondern ihre Lehren zu verinnerlichen und auf Relevanz zu bestehen.

Die aktuelle Situation birgt besonderen Druck. Angesichts der Gentrifizierung, der Migration, der demografischen Ängste und der geopolitischen Unsicherheit in Tiflis wird die Frage, was für eine Stadt sie werden wird, immer lauter. Doch die Antworten sind bereits in der Stadtstruktur verankert. Ein neuer Turm erhebt sich neben einem alten Obstgarten, und beide gehören irgendwie zusammen. Eine Brücke aus dem 17. Jahrhundert trägt noch heute den Fußgängerverkehr. Die Anwohner weigern sich, selbst nach einem Kauf wegzuziehen – und leben stattdessen lieber inmitten der Trümmer einer ins Stocken geratenen Sanierung.

Dieses Durchhalten ist nicht heroisch. Es ist oft still, kompromissbereit, stur. Ein Straßenmusiker spielt jahrelang dieselben vier Lieder. Ein Buchhändler öffnet jeden Morgen, obwohl Kunden rar sind. Eine Mutter bringt ihrer Tochter bei, Bohneneintopf zu kochen, genau wie ihre eigene Großmutter es tat. Dies sind keine Darbietungen der Tradition. Sie sind ihre Infrastruktur.

Die Stadt erinnert sich nicht durch große Ankündigungen an sich selbst, sondern durch Wiederholung. Durch Rückkehr. Indem sie weiterhin das tut, was sie kennt, selbst wenn sich der Rahmen ändert.

Und das ist vielleicht die tiefste Lektion, die Tiflis gelernt hat: Kontinuität bedeutet nicht Gleichförmigkeit, sondern Beharrlichkeit. Nicht die Weigerung, sich zu verändern, sondern die Weigerung, zu vergessen. Nicht Nostalgie, sondern Präsenz.

Tiflis bewegt sich nicht geradlinig. Es dreht sich im Kreis, macht eine Kehrtwende, hält an und fährt wieder von vorne los. Aber es bewegt sich. Immer.

Georgischer Lari (₾)

Währung

ca. 455 n. Chr.

Gegründet

+995 32

Anrufcode

1,258,526

Bevölkerung

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