Das Gerüst Venedigs spiegelt seine wasserreiche Geburtsstätte wider. Lange Reihen schlanker Holzpfähle wurden in den Schwemmschlamm getrieben und stützen Backsteingebäude, die mit hellem istrischem Kalkstein und bunten Steinen verkleidet sind. Im Winter überflutet die Flut gelegentlich die niedrigen Straßen, und erhöhte Holzstege (Passerelle) führen über den Markusplatz.
Ansonsten spielt sich das Leben an der Lagune per Boot und zu Fuß ab. Gondeln, Traghetti-Fähren und Vaporetti (öffentliche Wasserbusse) befahren die Kanäle von morgens bis abends, während Einwohner und Ladenbesitzer die Stadt über ein Netz aus engen Gassen und Brücken durchqueren. Autos sind in der Altstadt gesetzlich verboten, was Venedig zu einer der größten Fußgängerstädte der Welt macht.
Im Herzen Venedigs liegt der Markusplatz, der zeremonielle Platz der Stadt. Hier treffen mittelalterliche und Renaissance-Pracht auf die Meeresbrise. Eine Seite des Platzes wird vom Markusdom dominiert, einer Kathedrale im byzantinischen Stil mit fünf Kuppeln und unzähligen Mosaiken. Ihre Fassade ist mit Marmor und Gold geschmückt, und selbst die berühmten vergoldeten Bronzepferde auf der Basilika wurden während der Kreuzzüge aus Konstantinopel geplündert.
Auf der anderen Seite der Piazza thront der Dogenpalast (Palazzo Ducale), ein riesiger Palast aus rosa-weißem Marmor im venezianischen Gotikstil. Einst Sitz des Dogen (Venedigs gewählter oberster Magistrat) und Mittelpunkt der Regierung, wird der Palast von einer eleganten Arkade aus Spitzbögen und offenen Loggien gesäumt. Seine Silhouette – bunte Steinmauern unter einer Arkade aus Maßwerk – verkörpert die hybride Ost-West-Gotik, die hier florierte.
Hinter dem Dogenpalast, am Wasser, erinnern die Porta della Carta und die Seufzerbrücke an Venedigs einstigen Ruhm und seine Reue. Im Abendlicht schimmert die Südfassade des Palastes in rosa-weißem Licht auf die Lagune – ein Bild, das venezianische Maler von Canaletto bis Turner auf Leinwand verewigten. Es war dieses „außergewöhnliche architektonische Meisterwerk“, wie die UNESCO es nennt, das Generationen von Künstlern wie Bellini, Tizian und Tintoretto inspirierte. Tatsächlich ist Venedigs architektonisches Erbe konkurrenzlos: Vom kleinsten Palazzo am Kanal bis zur prachtvollen Basilika „beinhaltet selbst das kleinste Gebäude Werke einiger der größten Künstler der Welt.“
Unter Venedigs Brücken pulsiert noch immer der Ost-West-Handel. Der Canal Grande schlängelt sich S-förmig durch die Stadt und ist gesäumt von Palästen aus zwei Jahrhunderten. Gondeln, Lieferboote und Vaporettos befahren diese „Hauptstraße“ auf dem Wasser, unter dem wachsamen Auge der Rialtobrücke. Die Rialtobrücke ist die älteste Steinbrücke über den Kanal und wurde im späten 16. Jahrhundert erbaut, um eine Reihe von Holzübergängen zu ersetzen. Sie wurde von Antonio da Ponte entworfen und ragt aus einem einzigen Bogen aus weißem istrischem Stein empor.
Heute beherbergt sein breites Steindeck zwei Reihen kleiner Geschäfte entlang dreier Fußgängergassen – ein Bild, das sich seit der Renaissance kaum verändert hat. Jahrhundertelang war es Venedigs einzige feste Überquerung des Canal Grande und verband den geschäftigen Rialtomarkt mit dem Bürger- und Handelsviertel um San Marco. Noch heute bieten Händler bei San Giacomo di Rialto Obst und eingelegten Fisch feil und halten so die Tradition des Kanals als Zentrum des täglichen Handels aufrecht.
Jenseits dieser Sehenswürdigkeiten ist Venedig in sechs Sestieri oder Bezirke unterteilt, jeder mit seinem eigenen Charakter. Südlich von San Marco liegt Dorsoduro, ein kunstvoller und gelehrter Stadtteil mit der prächtigen Barockkirche Santa Maria della Salute (erbaut nach einer Pest im 17. Jahrhundert) und den Accademia-Galerien. Nördlich davon liegt Cannaregio, ein ruhigeres Viertel mit Cafés am Kanal und dem historischen venezianischen Ghetto – Europas erstem jüdischen Viertel aus dem Jahr 1516. Westlich von San Marco liegt San Polo, eingebettet in die Rialto-Märkte und übersät mit weniger bekannten Kirchen.
Noch weiter westlich liegt Santa Croce, das modernste Viertel der Stadt. Hier markiert der Piazzale Roma die einzige Endstation für Autos und das geschäftige Treiben weicht gepflasterten Gassen. Östlich erstreckt sich Castello – der größte Bezirk der Stadt – von den Werften des Arsenale (einst die Werften der Republik mit Tausenden von Arbeitsplätzen) bis zu den ruhigen Gassen der Gärten der Biennale von Venedig. Jedes Viertel ist durch Dutzende von Kanalbrücken miteinander verbunden, von kunstvollen Steinbrücken bis hin zu einfachen Holzstegen, die Venedigs gewundene Wasserstraßen zu einem nahtlosen Ganzen verbinden.
Die Architektur Venedigs selbst ist ein Zeugnis seiner Geschichte. Ihr Stil ist eine Verschmelzung von Ost und West. Die venezianische Gotik – am besten zu sehen im Dogenpalast und der sogenannten Ca' d'Oro – verbindet Spitzbögen mit byzantinischen und sogar islamischen Mustern. Filigrane Kielbögen, Vierpass-Maßwerk und bunte Steinseilarbeiten erinnern an die Handelskontakte der Stadt mit den Byzantinern und Sarazenen. Hinter den prachtvollen Fassaden sind die Räume oft schlicht: flache Holzbalkendecken über Backsteinmauern, da Gewölbe brechen können, wenn Venedig auf seinen Stützpfeilern ruht.
Doch Venedigs Außenansichten sind reich an Ornamenten an Balkonen, Fenstern und Portalen – überall versucht man, die dichte Umgebung optimal zu nutzen. Selbst relativ schlichte Renaissancepaläste bewahren mit ihren Bogenfenstern und dem gemusterten Marmor einen Hauch der Gotik. Im 19. Jahrhundert inspirierte dieses kosmopolitische Erbe in Großbritannien eine Neugotik (bekannt durch John Ruskin), nach der der venezianische Stil eine kurze Renaissance erlebte.
Neben dem Stil ist auch die Infrastruktur der Stadt einzigartig. Keine Straßenfahrzeuge dringen in die Kanäle ein: Lieferungen werden per Lastkahn abgefertigt, und Müllschiffe befahren die inneren Wasserstraßen. Einmal im Sommer herrscht an der Riva degli Schiavoni und auf dem Markusplatz noch immer „Acqua alta“ (außergewöhnliche Flut). In diesen Momenten ziehen die Venezianer kniehohe Gummistiefel an und heben ihre Fußgängerbrücken wieder hoch.
Im Winter köcheln herzhafte Meeresfrüchteeintöpfe auf Holzfeuern in Küchen, die zu schmalen Kanälen hin offen sind; im Sommer begleiten gestreifte Gondoliere Paare durch baumbeschattete Gassen. Das venezianische Leben ist nach wie vor eng mit dem Wasser verbunden. Sogar das städtische Gesundheitsamt verfügt über ein Boot statt eines Krankenwagens, und bei Beerdigungen transportiert ein Boot den Leichenwagen zu den Trauernden über den Kanal. In einer Stadt, „die auf dem Wasser der Lagune zu schwimmen scheint“, wie die UNESCO feststellt, ist das tägliche Leben ein komplexer Tanz zwischen Erde und Meer.